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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Fortschritten in Japan und der Welt zu tun hatten.
    Was mein Computerwissen betraf, war ich absoluter Autodidakt, aber ich wusste doch einiges.
    Hamaya wurde nach mir ins Team aufgenommen. Sie konnte kaum mit E-Mails umgehen, daher wurde ich plötzlich zum Lehrer meiner Lehrerin. Sie war eine gute Schülerin, und auch ich fand den Rollentausch nicht unangenehm. Ich lieh ihr Bücher, erklärte Fachausdrücke, zeigte ihr, wie man mit den verschiedenen Browsern umging und Lesezeichen setzte. Sie las ihrerseits meine Artikel, machte Verbesserungsvorschläge und wies auf Grammatikfehler hin. Und ich konnte immer auf sie zählen, wenn ich in der Tinte saß.
    Ein großes Problem bei japanischen Zeitungen und vielleicht auch in japanischen Unternehmen und der Regierung ist, dass man ein und dieselbe Tätigkeit nie sehr lange verrichten darf. Es gibt ständig Personalwechsel nur um der Veränderung willen. So gibt es keine Kontinuität und es ist schwer für einen Journalisten, sich in ein Spezialgebiet richtig einzuarbeiten.
    Hamayas Fachgebiet waren geistig Behinderte, vor allem die Maßnahmen, die ergriffen werden mussten, wenn sie Gesetze brachen. Sie war eine begeisterte Fürsprecherin der Behinderten. Was deren gesellschaftliche Integration anbelangt, liegt Japan noch heute Jahrzehnte hinter den USA zurück.
    Die Bestrafung geistig Behinderter wurde Ende der Neunzigerjahre heiß diskutiert. Manche Leute forderten, dass die Gesetzeshüter das Recht erhalten sollten, geistig Behinderte ganz normal ins Gefängnis zu stecken.
    Ausgelöst wurde diese Debatte von einem Vorfall am 23. Juli 1999. Ein Flugzeug der Japan Airlines war nach dem Start in Haneda – dem internationalen Flughafen in Tokio – von einem geistig Behinderten entführt worden, der zudem noch den Piloten erstach. Nach seiner Verhaftung entbrannte eine heftige Debatte darüber, ob man seinen Namen veröffentlichen durfte. Wegen seiner Behinderung und weil er Patient in einer psychiatrischen Klinik gewesen war, erwähnten die meisten Zeitungen seinen Namen zunächst nicht, was sonst schon üblich gewesen wäre. Am 27. veröffentlichte die Sankei Shimbun , eine sehr konservative Tageszeitung, allerdings dann doch seinen Namen.
    Die Staatsanwaltschaft ließ den Mann nicht von einem Experten untersuchen, bevor sie ihn anklagte. Ihrer Meinung nach war er also zurechnungsfähig. Am 10. August erwähnte sogar Nihon Television , der Nachrichtensender der Yomiuri , den richtigen Namen.
    Als der Mann dann formell angeklagt wurde, nannte ihn fast jede Nachrichtenagentur bei seinem richtigen Namen. Mehrere Presseorgane berichteten sogar in allen Einzelheiten über seine psychischen Probleme und seine Krankengeschichte.
    Hamaya wehrte sich entschieden dagegen, den Namen des Mannes zu erwähnen, und war sehr unzufrieden mit der Berichterstattung über den Fall.
    »Weißt du, wir entwickeln allmählich wirklich diskriminierende Ansichten. Alle Berichte gehen doch davon aus, dass jeder, der an einer Geisteskrankheit leidet, grundsätzlich nur einen Schritt von einem schrecklichen Verbrechen entfernt ist.«
    Zunächst konnte ich ihr da nicht zustimmen, denn ich dachte noch zu sehr wie ein Polizeireporter, wie ein Polizist. Bestraft alle Kriminellen! Denn schlaue Ganoven täuschen Geisteskrankheiten vor, um nicht im Knast zu landen.
    Als sie mir aber dann von seinem Leben erzählte und von all den Krankheiten, die in psychiatrischen Kliniken behandelt wurden, begann ich langsam, ihren Standpunkt zu verstehen.
    Wenn wir Journalisten in Japan damals über ein schreckliches Verbrechen berichteten, das ein psychisch Kranker begangen hatte, dann taten wir so, als wären alle geistig kranken Menschen fähig, ähnliche Taten zu begehen, oder als sei das zumindest wahrscheinlich. So bestärkten unsere Artikel viele alte Vorurteile und förderten die Diskriminierung von psychisch Kranken.
    Diese Ansichten entsprachen auch der Stimmung in der Bevölkerung und in der Yomiuri , aber Hamaya war viel zu integer, um ihre Artikel so zu verändern, dass sie mit einer unausgesprochenen Unternehmenspolitik übereinstimmten.
    Dadurch erwarb sie sich den Ruf, eine Unruhestifterin zu sein, eine Radikale. »Sie ist genauso verrückt wie die Irren, die sie verteidigt.« Damit begann eine harte Zeit für sie.
    Am 8. Juni 2001 drang der 37-jährige Mamoru Takuma in die Ikeda-Grundschule der pädagogischen Universität von Osaka ein, stach
23 Kinder nieder und tötete dabei 8. Man hielt ihn als Erstes

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