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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Bevölkerung, denn die Invasionstruppen verfielen in einen Monate andauernden Rausch des Vergewaltigens, Folterns und Verstümmelns.
    Was genau diese ansonsten disziplinierte Armee zu diesem Verhalten getrieben hat, ist und bleibt eine viel diskutierte Frage (eine ausgezeichnete Studie der Psyche japanischer Soldaten findet sich in Ruth Benedicts Klassiker: The Chrysanthemum and the Sword). Doch am umstrittensten ist die tatsächliche Anzahl der Opfer. In China gibt es Stimmen, die besagen, dass in jenem Winter rund vierhunderttausend umgekommen sind; in Japan behaupten andere, dass es nur eine Hand voll gewesen wäre. Wir werden ständig daran erinnert, dass Geschichte von den Siegern geschrieben wird, doch umgeschrieben wird Geschichte von vielen anderen Gruppen: Revisionisten, Politikern, ruhmsüchtigen
    Akademikern - und sogar zu einem gewissen Grad von den
    Amerikanern, die versuchten, Japan zu beschwichtigen, da sie in der geografischen Lage des Landes einen strategischen Vorteil im Kampf gegen den Kommunismus sahen. Geschichte kann sich verwandeln wie ein Chamäleon, wird mitunter ein Spiegelbild der Antworten, die von ihr erwartet werden. Und solange jede betroffene Partei etwas anderes behauptet, besteht nur wenig Hoffnung, sich je auf eine international anerkannte Zahl von Verlusten zu einigen.
    In einem teilweise geöffneten Massengrab auf dem Gelände der offiziellen Jiangdongmen-Gedenkstätte können Besucher von Nanking die Überreste nicht identifizierter Bewohner dieser Stadt besichtigen, die während der Invasion von 1937
    getötet wurden. Beim Anblick dieser Gebeine und dem Versuch, das wahre Ausmaß des Massakers zu begreifen, erkannte ich, dass jeder Einzelne dieser vergessenen Menschen, unabhängig davon, ob es vierhunderttausend oder nur zehn waren, unsere Achtung verdient für das, wofür sie stehen: die große Tragödie des kleinen menschlichen Lebens. Zeugnisse des Massakers sind und bleiben bruchstückhaft: Augenzeugenberichte, Fotos, einige Meter des unscharfen 16mm-Films, den Reverend John Magee aufgenommen hat. Shi Chongmings Film ist fiktiv, doch es ist durchaus möglich, dass weiteres Filmmaterial existiert und bislang aus Angst vor Repressalien von Seiten japanischer Holocaust-Gegner nicht ans Licht gekommen ist. Eine Kopie von Magees Film, die mit der Absicht, ihn der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, von einem Zivilisten nach Japan gebracht wurde, ist sehr schnell auf mysteriöse Weise spurlos verschwunden. Angesichts der unzuverlässigen und bruchstückhaften Beweislage war es nicht einfach, bei der fiktiven Schilderung des Massakers eine Ausgewogenheit zwischen Sensation und Vertuschen zu bewahren. Um diese Aufgabe zu meistern, habe ich auf die lenkende Hand zweier Menschen vertraut: Iris Chang, deren Buch The Rape of Nanking den ersten ernst zu nehmenden Versuch darstellte, eine breite Öffentlichkeit auf dieses Verbrechen aufmerksam zu machen, und - vielleicht noch bedeutsamer - Katsuichi Honda.
    Honda, ein japanischer Journalist, hat es sich seit 1971 zur Aufgabe gemacht, seine skeptische Nation mit der Wahrheit zu konfrontieren. Doch trotz der Tatsache, dass in jüngster Zeit ein Umschwung in der Einstellung der Japaner zu ihrer Vergangenheit stattgefunden hat - die Invasion in Nanking wurde vorbehaltlich wieder auf den Lehrplan gesetzt -, lebt Katsuichi aus Angst vor Übergriffen Rechter anonym. Seine 1999 erschienene Sammlung von Augenzeugenberichten, The NanjingMassacre, enthält mehrere Schilderungen des
    »Leichenbergs« in der Nähe des Tigerbergs, einschließlich der Säule aus Menschen, die zu entkommen suchten, indem sie die Luft erklommen. Die Sammlung enthält auch eine schier unerträgliche Schilderung, wie ein ungeborenes Kind von einem japanischen Offizier aus dem aufgeschlitzten Bauch der Mutter geholt wurde.
    Zusätzlich zu Hondas Werk habe ich mich des Wissens folgender Personen bedient: John Blake; Annie Blunt von der Bright Futures Mental Health Foundation; Jim Breen von der Monash University (dessen ausgezeichnete Kanji- Datei unter
    csse.monash.edu.au eingesehen werden kann); Nick Burton; John Dower [Embracing Defeat); George Forty [Japanese Army Handbook); Hiro Hitomi; Hiroaki Kobaya-shi; Alistair Morrison; Chigusa Ogino; Anna Valdinger und alle vom British Council, Tokio. Alle verbleibenden Fehler und Irrtümer nehme ich auf meine eigene Kappe.
    Mein Dank geht an die Stadt Tokio, dafür, dass sie mir erlaubt hat, mir Freiheiten mit ihrer

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