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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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orangefarbenen Buch, und ich ich weiß nicht, warum, aber ich dachte, dass mein Baby auch überleben würde, und deshalb habe ich ...« Ich sank auf den Stuhl und starrte auf meine zitternden Hände. »Ich dachte, dass alles gut werden würde und sie sie fortbringen und sie irgendwo verstecken, irgendwo, wo meine ... wo meine Eltern sie nicht finden würden.«
    Shi Chongming kam langsam um den Schreibtisch herum
    und legte seine Hände auf meinen Rücken. Dann seufzte er und sagte: »Wissen Sie was? Ich habe mich immer als einen Mann gesehen, der Traurigkeit in all ihren Facetten kennt. Aber ich - ich habe keine Worte für das hier. Keine Worte.«
    »Das macht nichts. Sie waren gütig, Sie waren sehr gütig, denn Sie haben mir immer wieder gesagt, dass Unwissenheit nicht das Gleiche wie Verderbtheit sei, aber ich weiß es besser.« Ich versuchte, ihn anzulächeln. »Ich weiß es besser. Man kann jemandem wie mir niemals wirklich vergeben.«
    63
    Wie kann man die Macht messen, die der Verstand über den Körper hat? Nichts hätte Fuyuki je davon überzeugt, dass der winzige mumifizierte Leichnam von Shi Chongmings Baby nicht der Schlüssel zur Unsterblichkeit war. Nichts hätte ihn je überzeugt, dass das, was er all die Jahre so sorgsam gehütet und bewacht, was er langsam, doch stetig aufgezehrt hatte, ein Placebo war und dass das, was ihn tatsächlich am Leben erhalten hatte, sein eigener übermächtiger Glaube war. Die, mit denen er sich umgab, glaubten es ebenfalls. Als er, nur zwei Wochen nach dem Diebstahl von Shi Chongmings Baby, starb, waren sie der Meinung, dass dies nur darauf zurückzuführen war, weil man ihn seines geheimen Elixiers beraubt hatte. Doch da gab es andere, die Skeptiker, die sich insgeheim fragten, ob Fuyukis Tod nicht eher auf die Belastung im Zusammenhang mit dem plötzlichen Interesse einer dem amerikanischen Justizministerium unterstellten Arbeitsgruppe an ihm zurückzuführen war.
    Es war ein kleines, engagiertes Team, das sich auf die Entlarvung von Kriegsverbrechern spezialisiert hatte, und seine Mitglieder waren hocherfreut, von einem gewissen Professor Shi Chongming, ehemals an der Jiangsu-und Todai-Universität tätig, zu hören. Jetzt, da er das, was von seiner Tochter noch übrig war, in Sicherheit wusste, hatte Shi Chongming sich geöffnet wie eine Muschel in warmem Wasser. Dreiundfünfzig Jahre lang hatte er auf diesen Moment hingearbeitet, hatte er um Erlaubnis nachgesucht, nach Japan zu reisen, hatte sich mit der Bürokratie des Oberkommandos der Land-Streitkräfte herumgeschlagen, doch jetzt machte er alles publik: seine Notizen; die Erkennungsmarken des Soldaten; eine Sammlung von Einsatzberichten verschiedener Einheiten aus dem Jahr 1937; Fotos von Oberleutnant Fuyuki. Alles wurde sorgfältig zu einem Paket verschnürt und per Kurier zur Pennsylvania Avenue, Washington D.C., geschickt. Ein wenig später folgte ein 16-mm-Film, ein körniger Schwarzweißfilm, an Hand dessen das Team in der Lage war, Fuyuki zweifelsfrei zu identifizieren.
    Es wurde gemunkelt, dass etwas von dem Film fehlte, und
    einige wiesen auf die eine oder andere sehr frisch aussehende Schnittstelle hin. Sie sagten, dass jüngst Teile daraus entfernt worden seien.
    Es war meine Idee gewesen, die paar Bilder herauszunehmen, die zeigten, wie Shi Chongming sein Kind hergab. In einem Hotelzimmer in Nanking war ich ganz stümperhaft mit Schere und Klebestreifen vorgegangen. Ich hatte die Entscheidung für ihn getroffen, hatte bestimmt, dass er sich nicht zum Märtyrer zu machen brauchte. So einfach war das. Ich fertigte keine Kopie von dem Film an, bevor ich ihn in Noppenfolie wickelte und das Paket an Dr. Michael Burana, IWG, Department of Justice, adressierte. Ich hätte sie den Ärzten in England schicken können, vielleicht auch an die Krankenschwester, die sich im Dunkeln wispernd über mich gebeugt hatte, oder auch an das onanierende Mädchen. Doch es war nicht nötig. Ich war jetzt älter und hatte viele Dinge erfahren. Hatte gelernt, was auf Unwissenheit zurückzuführen war und was auf Verrücktheit. Ich musste nicht länger jemandem etwas beweisen. Nicht einmal mir selbst.
    »Aber jetzt ist es vorbei«, sagte Shi Chongming. »Und ich weiß nun, dass meine Frau Recht damit hatte, dass sich die Zeit in einem fortwährenden Zyklus befindet. Wir haben einen langen Weg hinter uns, der uns zurück zum Anfang geführt hat.«
    Es war ein blauweißer Dezembermorgen, der Schnee reflektierte gleißend den

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