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Tolle Maenner

Tolle Maenner

Titel: Tolle Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Goldsmith
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Comfort mehr Trost gefunden als alle Südstaatler zusammen. Und immer häufiger hatte Chuck ihn als lebendes Requisit eingesetzt, das ihm bei den Frauen helfen sollte. Er hatte keine andere Wahl gehabt – sein Vater hatte ein Besuchsrecht -, und irgendwo hatte er ja auch tatsächlich den Wunsch verspürt, seinen Vater zu sehen. Welchem Kind wäre es nicht so gegangen? Als Jon allmählich erwachsen wurde, war Chuck davon noch weit entfernt. Kurz vor seiner Abreise aus Seattle in weitgehend unbekannte Gefilde war er mit Jon zum letzten Mal ausgegangen. Wieder einmal hatte er bei einem Job Schiffbruch erlitten und war nach ein paar Drinks und jeder Menge Selbstmitleid schließlich sentimental geworden. »Ich muss irgendwo
anders von vorn anfangen«, hatte er erklärt. »Hab mir schon alles genau überlegt. Und du sollst auch daran beteiligt sein. Du bist schließlich mein Fleisch und Blut.« Obwohl Jon zu diesem Zeitpunkt schon seit ein paar Jahren bei Micro/Con arbeitete, riet ihm sein Vater zu kündigen. »Solange du für andere arbeitest, wirst du nie reich«, sagte er. »Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede. Von nun an geh ich eigene Wege.« Und dann hatte sich dabei total verlaufen.
    Jon hatte anfangs nicht gemerkt, dass eine sehr junge Frau von der Bar aus zu ihnen herüberschaute, bis sein Vater ihn auf sie aufmerksam machte. Sie sah aus wie eine Neuntklässlerin. Jon hatte fast den Eindruck gehabt, dass sie an ihm interessiert war. »Ich hab mir schon überlegt, ob ich sie fragen soll«, hatte Jons Vater gesagt. »Was willst du sie fragen? Welche Noten sie in der Schule hat?«, hatte Jon gefragt. »Nein. Nein, ob sie mich heiraten will«, hatte sein Vater wie selbstverständlich geantwortet.
    Jon ließ den Taxifahrer an der Ecke halten, an der er sich mit seinem Vater verabredet hatte. Hier in der Nähe des Busbahnhofs wirkte das Viertel reichlich heruntergekommen. Was konnte er seinem Dad bloß kaufen? Eine Flasche Southern Comfort? Ein Oneway-Ticket nach Südamerika? Er ging in den Drugstore in der Mitte des Häuserblocks.
    Er entschied sich für ein After Shave – das klassische fantasielose Vatertagsgeschenk. Während er es einwickeln ließ, fiel ihm ein, dass Phil hier irgendwo wohnte und Laura überlegt hatte, hierher zu ziehen, bis Tracie sie davor gewarnt hatte. Obwohl ihm der Wind die Tränen in die Augen trieb, musste er lächeln. Heute Abend hatte er Tracie einiges zu erzählen.
    Sein Vater hatte ihm eine Adresse ein paar Häuserblocks nördlich der Stelle gegeben, an der er sich jetzt befand – ein Restaurant namens Howdies. Ein Stück weiter vorn konnte Jon es sehen. Es war eines jener großen, scheußlichen und lauten Lokale, in denen die Leute aßen, die mit den Überlandbussen unterwegs waren.
    Als er die Tür aufstieß, wurde ihm von einem Automaten ein
»Hallo« entgegengeplärrt. Ansonsten bot einem das Lokal mit seiner trostlosen Ansammlung von Resopaltischen und Plastikstühlen nicht gerade einen herzlichen Empfang. An einer langen Wand erstreckte sich eine Theke, an der man den Hackbraten vom Vortag, Makkaroni mit Käse oder Karotten und Erbsen haben konnte. Jon fühlte sich hier etwa so elend wie die Schüsseln mit braun gerändertem Eisbergsalat, die, von allen verschmäht, die Salatabteilung krönten. Vom Eingang her erblickte er den geisterhaften Schimmer eines weißen Gesichts unter einer Mütze und eine ebenso weiße Hand, die ihm zuwinkte. Jon ging durch den langen Gang auf seinen Dad zu.
    Sobald er ihn aus der Nähe sah, bemühte er sich, keinen Laut von sich zu geben und ihn nicht anzustarren, aber die Augen abzuwenden wäre nicht weniger grausam gewesen. In den zwei Jahren, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren, schien Chuck um zwanzig Jahre gealtert. Sein Vater versuchte mühsam aufzustehen, aber Jon bedeutete ihm sitzen zu bleiben, und nahm ihm gegenüber Platz. Er küsste oder umarmte ihn nicht, streckte ihm aber die Hand entgegen. Die Hand seines Vaters war abgemagert, die Haut pergamentartig. Jon war von seinem Aussehen so schockiert, dass er kein Wort herausbrachte. »Hallo, Jon«, sagte Chuck. »Gut siehst du aus.« Das war nicht gerade die beste Eröffnung, weil Jon schlecht mit dem üblichen »Du auch« antworten konnte. Er wühlte in seiner Tasche herum und überreichte Chuck wortlos sein Geschenk. Chuck nahm es und betrachtete es verständnislos, als handele es sich um einen Meteoriten oder eine Kugel Büffel-Mozzarella. »Was ist denn das?«, fragte

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