Tolle Maenner
Jon«, sagte er. »Such dir eine liebe Frau, und bleib bei ihr. Du wirst es nie bereuen.«
34. Kapitel
Molly unterhielt sich gerade mit einem Gast und merkte deshalb nicht, dass Tracie hereinkam, was diese mit Erleichterung aufnahm. Phil war den ganzen Abend über ungewöhnlich gesprächig gewesen und hatte alles versucht, um sie davon abzuhalten, aus dem Haus zu gehen. Aber Phil zum Trotz war sie pünktlich gekommen und ging nun zu ihrem üblichen Tisch, um auf Jon zu warten. Gerade als sie ihren Regenmantel ausziehen wollte, trat Molly mit zwei dampfenden Bechern Kaffee auf sie zu. »Das alles ist ganz allein deine Schuld«, meinte sie, während sie die beiden Becher auf den Tisch stellte und Tracie gegenüber auf die Bank rutschte.
»Wie bitte? Ich kann mich nicht erinnern, dich an meinen Tisch gebeten zu haben.«
»Wenn ich mich nicht zu dir setze, sitzt du diesmal allein hier«, sagte Molly und schob die Zuckerdose in Tracies Richtung. »Wir backen gerade Donuts. Die kannst du gut eintunken. In deine Tränen«, fügte sie hinzu. »Wie ich gehört habe, hat das mit den Karten nicht funktioniert. Und dabei musste ich für sie extra einen Roadie ficken. Glatte Verschwendung nenn ich das.«
»Ich finde, du bist ein bisschen arg dramatisch«, sagte Tracie so würdevoll, wie sie konnte. »Ich kann im Moment jedenfalls nicht klagen.«
»Dass dich dein Freund nach all den Jahren sitzen lässt, macht dir also gar nichts aus?«
»Wovon redest du eigentlich? Ich bin zu früh dran, und Jon kommt eben ein bisschen zu spät. Was ist so schlimm daran?«
»Irrtum, meine Liebe. Letzte Woche kam er zu spät. Ein bisschen zu spät kam er vorletzte Woche. Ich wette, dass er diese
Woche überhaupt nicht auftaucht, Radiohead-Karten hin oder her.«
»Mach dich nicht lächerlich. Wir treffen uns doch jeden Sonntag zu diesem späten Brunch, egal was passiert. Außer damals, als ihm der Blinddarm entfernt wurde«, erklärte Tracie, als hätte Molly das nicht selbst gewusst. »Ich bin seine beste Freundin.«
»Du bist noch viel mehr als das.« Molly stand auf und schaute Tracie tief in die Augen. »Kapier’s endlich: Du bist ein Rühreier-Mädchen, das glaubt, mal was anderes probieren zu müssen. Du weißt nicht mal, was du für ihn empfindest, stimmt’s? Er hätte dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, aber du warst viel zu dämlich, um das zu schätzen zu wissen.«
»Ach ja?«
»Jawohl, Professor Higgins.« Angewidert stand Molly von ihrem Platz auf und ging in die Küche.
Tracie saß allein an ihrem Tisch und starrte aus dem Fenster. Da sich draußen nicht viel tat, begann sie, mit den Süßstoffpäckchen herumzuspielen. Es waren elf – eine äußerst unbefriedigende Zahl. Sie versuchte, sie in drei Reihen von je vier Stück auszulegen, aber die letzte, kurze Reihe ärgerte sie. Also ordnete sie sie in zwei Reihen an, die obere mit fünf, die untere mit sechs Päckchen, aber das sah aus wie eine Pyramide ohne Spitze. Daraufhin legte sie ein Päckchen nach ganz oben, zwei darunter, dann drei und schließlich vier – aber dabei blieb eines übrig. Was soll’s, dachte sie, riss die letzte Packung in die Form eines Sterns und legte diesen an die Spitze des Dreiecks, das nun zu einem Christbaum wurde. Über allem war der pulverige Süßstoff verstreut wie Schnee. Zu dumm, dass es Mitte Juni ist und nicht Weihnachten, dachte sie mürrisch.
»Na, amüsierst du dich?«, fragte Molly, als sie an ihrem Tisch vorbeikam.
Tracie seufzte. Vielleicht hatte Molly ja Recht. Vielleicht war sie ja wirklich das Rühreier-Mädchen, das gern unter Termindruck arbeitete und Aufgaben erfüllte, aber nicht mal merkte, wenn sie jemanden liebte. Schließlich hatte Laura vor einer Woche
genau dasselbe gesagt. Sie schaute auf ihre Uhr; seit dem letzten Blick waren erst weitere neun Minuten vergangen. Wo zum Teufel bleibt er?, dachte sie. Sie hatte seine Pünktlichkeit immer als etwas Selbstverständliches hingenommen. Er aber war immer so früh gekommen, weil… er sie mehr geliebt hatte als jede andere. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Irgendwie hatte sie sich immer darauf verlassen. Wen zog er jetzt wohl vor? Mit wem war er zusammen? Weitere zehn Minuten vergingen. Tracie hielt das Warten nicht mehr aus. Sie stand auf und ging zum öffentlichen Telefon im hinteren Teil des Coffee-Shops. Sie wählte Jons Nummer, doch niemand hob ab. »Verdammt!« Sie hängte den Hörer wieder auf und wählte seine Nummer in der Firma –
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