Tolle Maenner
Chuck.
»Das ist... das ist... ein Geschenk. Du weißt schon, zum Vatertag.«
Chuck starrte das Päckchen an, machte aber keine Anstalten, es zu öffnen. Dann schüttelte er mehrmals den Kopf. »Du bist wirklich ein guter Junge, Jonathan. Du gerätst wohl eher deiner Mutter nach.« Unwillkürlich musste Jon nicken. »Du siehst gut aus. Still crazy after all these years, was?«
Den Song hatten seine Mutter und Chuck immer zusammen gesungen, wenn sie guter Laune gewesen waren. Jon erinnerte sich noch an eine Fahrt nach Vancouver, als die beiden auf den Vordersitzen trällerten und er von hinten einstimmte. »Kannst du dir immer noch kein Auto leisten?«, fragte sein Vater, und als Jon gerade protestieren wollte, hob Chuck seine knochige Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. »War doch nur ein Scherz«, sagte er. »Ich weiß doch, wie gut es dir finanziell geht.«
»Und woher weißt du das?«, fragte Jon.
»Deine Mutter hält mich auf dem Laufenden. Übers Internet. Danke, dass du gekommen bist, mein Sohn«, sagte Chuck, und Jon spürte schon, wie sich ihm das Herz zusammenzog. Die Sache mit dem »Sohn« war in aller Regel das Vorspiel zu einer Bitte um Geld, aber diesmal wartete er vergebens darauf. Chuck redete über sein Haus in Nevada, das Gärtnern, Football, Donald Trump, die bevorstehenden Wahlen und eine Episode von Frasier , in der Niles und sein Vater mit derselben Frau ausgehen wollten. Nichts von allem wies in irgendeine konkrete Richtung, und Jon fragte sich schon, was das sollte, bis sein Vater seine Mütze hob und sich mit der Hand über den kahlen Schädel fuhr. »Es juckt wie verrückt«, sagte Chuck. »Aber das soll ja ganz normal sein nach einer Chemotherapie.« Erst in diesem Augenblick wurde Jon alles klar. Noch bevor er etwas sagen konnte, beugte sich Chuck vor und schaute ihm zum ersten Mal in die Augen. »Meine Chancen stehen gar nicht so schlecht«, meinte er. »Jedenfalls hab ich noch keine Metastasen. Ich muss ein paar Bestrahlungen mitmachen, und mit ein bisschen Glück ist dann wieder alles in Ordnung.«
»Gut«, brachte Jon mühsam heraus. Er hatte nicht die Kraft, auch nur eine Frage zu formulieren – um was für eine Art von Tumor es sich handelte, ob er operabel gewesen war, wie groß die Chance auf Heilung genau war... All das ging ihm in Sekundenschnelle durch den Kopf, aber er starrte nur die zusammengeschrumpfte Hülle seines Vaters an und stellte keine einzige
Frage. »Du siehst gut aus, Chuck«, sagte er stattdessen, und zum ersten Mal lachte sein Vater.
»Du bist wirklich ein Witzbold«, sagte Chuck und schüttelte seinen zerbrechlich wirkenden Kopf. Er war immer so eitel gewesen. Jon fragte sich, ob er sich nun überhaupt noch Gedanken über sein Aussehen machte oder ob er sich nur noch aufs Überleben konzentrierte. Wieder fand er, dass dies eine allzu persönliche Frage gewesen wäre.
So hatte er seinem Vater nicht viel zu sagen. »Ich wünsch dir alles Gute«, murmelte er schließlich. »Wenn ich irgendwas tun kann …«
»Na ja, ich hab mich ehrlich gesagt schon gefragt, ob ich wohl irgendwie von deiner Krankenversicherung profitieren könnte«, sagte Chuck. »Das wäre natürlich eine große Hilfe. Ich hab leider nicht die Voraussetzungen, um wie du immer gleich dranzukommen.«
»Mach dir mal darüber keine Gedanken«, sagte Jon. »Ich ruf gleich morgen beim zuständigen Sachbearbeiter an.« Er bezweifelte zwar stark, dass er für seinen Vater – einen bereits kranken Mann, mit dem er seit fünfzehn Jahren nicht mehr zusammenlebte – irgendetwas herausschlagen konnte, aber zumindest konnte er jede Behandlung bezahlen, die dazu beitrug, Chuck zu heilen oder wenigstens seine Schmerzen zu lindern.
»Vielleicht ginge es ja auch über die Versicherung deiner Mutter«, fügte Chuck hinzu. »Ich wollte sie sowieso mal besuchen, solange ich hier bin. Lebt sie eigentlich wieder mit jemandem zusammen?«
»Ja.« Die Lüge ging Jon so glatt über die Lippen, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan als zu lügen. Ihren sterbenskranken Exmann zu pflegen war wohl das Allerletzte, was seine Mutter jetzt brauchen konnte. »Er würde dir bestimmt gefallen. Er ist Profi-Catcher.«
»Ich hätte deine Mutter nie verlassen dürfen«, gestand Chuck.
»Du hättest sie auch nie betrügen dürfen«, fügte Jon hinzu und
bedauerte im nächsten Augenblick schon, dass ihm das herausgerutscht war. Aber sein Vater nickte nur.
»Mach bloß nicht die Fehler, die ich gemacht habe,
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