Tolle Maenner
– nämlich darauf, dass man sich nicht auf ihn verlassen kann.
Mit einem Mal überkam sie eine tiefe Zuneigung zu Jon, zu seiner Verlässlichkeit und seiner fast schon hündischen Anhänglichkeit. Sie nahm seinen lederumhüllten Arm und drückte ihn, und so gingen sie schweigend eine Weile nebeneinander her. »Bringst du mich zum Piercing?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Sag bitte, dass du das nicht vorhast.«
Tracie lachte nur und zog ihn in den Eingang von Downtown Video. »Da wären wir«, sagte sie. »Es tut garantiert kein bisschen weh.«
»Na klar. Als ich klein war, hat mein Zahnarzt das auch immer gesagt, kurz bevor er in den weichen Nerv gebohrt hat. Was sollen wir eigentlich hier? Ist dir plötzlich klar geworden, dass Phil unbedingt noch einmal Pulp Fiction sehen muss?«
»Na klar. Ich will mir die Hirnmasse vom armen Marvin in der Bonnie-Situation noch mal in aller Ruhe angucken, wie deine Computerfreunde das immer machen.« Verächtlich ging sie an den Kunden vorbei, die sich um die Neuveröffentlichungen scharten.
Das brachte Jon auf Trab, und vor der Kriminalabteilung holte er sie ein. »He, das ist jetzt aber nicht fair. Meine Computerfreunde haben sich gerade an Mein Essen mit André drangesetzt. Victor will ein Videospiel zum Film entwickeln.«
Wieder lachte Tracie und strebte auf die Filmklassiker zu. Der Laden war nicht auf die Kassenschlager abonniert – vergeblich suchte man Rocky unter den Klassikern, nicht einmal Stirb langsam war hier vertreten. Das Sortiment war ebenso schräg wie der Eigentümer, der legendäre Mr. Bill, der sich mitunter weigerte,
Filme an Banausen zu verleihen. Hin und wieder verschrieb er seinen Kunden Videos wie Arzneimittel oder riet im Extremfall sogar von ihnen ab. »Das sind zwar gute Filme, aber schlechte Lektionen fürs Leben«, hatte er einmal gesagt. »Im Buch endet Holly mitten in Südamerika, und dieser Typ, den George Peppard spielt, ist schwul.« Er hatte ihr befohlen, erst mal das Buch zu lesen, und dann erklärt, sie dürfe das Video nur einmal im Jahr ausleihen. Ihren Lieblingsfilm Verliebt in einen Fremden hatte er ihr verleidet. »Sie hätte die Abtreibung machen lassen sollen«, hatte er gesagt. »Dieser Typ, den Steve McQueen spielt, lässt sie in acht Monaten sowieso sitzen, und dann muss sie das Kind allein großziehen.« – »Woher wollen Sie das denn wissen?«, hatte sie verärgert gefragt. »Weil ich selber so ein Typ war, wie Steve McQueen ihn spielt«, hatte Mr. Bill weitaus wütender geantwortet, als Tracie erwartet hatte. »Und schauen Sie mich jetzt an – ich bin ein einsamer alter Arsch ohne Familie, mit einem Sohn, den ich nie kennen gelernt habe, und einem Videoverleih.« Sie hatte den Film nie wieder ausgeliehen.
»Tracie, wenn du jetzt den Gentleman-Quarterly-Ratgeber für coolen Schick ausleihst, erschieße ich mich auf der Stelle«, sagte Jon.
»Dafür bräuchtest du erst mal eine Waffe«, erwiderte sie, wählte rasch drei Videos aus und marschierte zur Kasse. Jon folgte ihr. Sie streckte die Hand aus, damit er ihr seine Mitgliedskarte gab. Möglicherweise müsste sie die Videos eine ganze Weile behalten. Er reichte sie ihr so lammfromm, wie er ihr alles andere übergeben hatte, und sie gab sie dem Angestellten.
Mr. Bill, der gerade die Regale auffüllte, blickte auf. »Oh, da veranstaltet jemand eine James-Dean-Retrospektive«, sagte er. Er schaute zu Tracie und Jon hinüber. »Scheint, als wären es Natalie und James höchstpersönlich.« Tracie lächelte. Mit Natalie Wood verglichen zu werden war so übel nicht. Dann öffnete Mr. Bill misstrauisch die Hüllen.
»Keine Angst«, beruhigte sie ihn. » Verliebt in einen Fremden steht noch im Regal.«
»Sie wollen sich doch nicht schon wieder Jenseits von Afrika ansehen?«, fragte Mr. Bill streng. Er schüttelte missbilligend den Kopf und musterte Jon. »Wie es aussieht, haben Sie schon genug Ärger am Hals.«
Tracie sah Jon an und konnte sich ein breites Lächeln nicht verkneifen. Was für ein Erfolg! Mr. Bill – selbst ein ehemaliger Schwerenöter, ein Quell der Weisheit auf allen Gebieten, Lieferant von Kinofilmen, unangenehmen Wahrheiten und Lebensphilosophien – hielt Jon doch tatsächlich für einen Mann, der Frauen in Schwierigkeiten bringen konnte! »Machen Sie sich da mal keine Sorgen«, beruhigte sie Mr. Bill, nahm ihre Einkaufstüte und führte Jon am Arm hinaus.
Soweit konnte sie mit ihrer Arbeit wirklich zufrieden sein. Als sie zu Tracies Wagen und
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