Tolle Maenner
hätte bei seinem Begräbnis sicher ein furchtbar schlechtes Gewissen. Er musste zugeben, dass er gut aussah, aber dafür überhaupt nicht mehr wie er selbst. Er sah aus wie ein Typ, der ihn höhnisch angrinste. Er grinste zurück, aber das machte es nur noch schlimmer. Mein Gott, was tu ich da bloß, fragte er sich. Nächstens fange ich noch an mich wie Travis Bickle in Taxi Driver zu benehmen und frage mein Spiegelbild, ob es mich anlabert.
Jon schüttelte den Kopf. Wie ein süßer tapsiger Labrador sah er jedenfalls nicht mehr aus. Eher schon wie ein Wiesel oder ein Fuchs mit dunklem Fell. Nun ja, das war wohl auch der Punkt. Er holte seinen Samsonite mit dem kaputten Handgriff und den Rollen heraus. Gerade wollte er ihn öffnen, als sich Tracies Unterricht auszahlte. Er sah sie förmlich vor sich, wie sie ihre herrliche, leicht gebogene Nase angewidert verzog und sagte: »Von Koffern auf Rollen kriegt man doch voll den Krampfer.«
Einen Moment lang überlegte Jon, was für eine Art Koffer James Dean wohl hätte, aber er konnte sich nicht erinnern, ihn
in einem seiner Filme überhaupt etwas tragen gesehen zu haben – außer Sal Mineo. Vielleicht hatten coole Typen ja gar kein Gepäck. Er seufzte. Das war alles so schrecklich kompliziert.
Aber wenn sein Plan aufgehen sollte, brauchte er Gepäck. Nachdem er eine Viertelstunde lang seine Wohnung durchwühlt hatte, entschied er sich für eine alte schwarze Reisetasche aus schwerem Baumwollstoff, in der er im College immer seine schmutzige Wäsche verstaut hatte. Zum Beschweren warf er etliche Paar Laufschuhe hinein und stopfte den verbliebenen Raum mit zusammengeknüllten Seiten der Seattle Times aus – wobei er peinlich genau darauf achtete, alle Seiten mit Artikeln von Tracie aufzuheben. Als er den Reißverschluss zuzog, hoffte er nur, dass die Sache den ganzen Aufwand wert war. Allzu viel Hoffnung hatte er allerdings nicht.
Doch trotz seines üblichen Pessimismus musste Jon doch eingestehen, dass irgendetwas in der Luft lag. Vielleicht waren es ja nur die neuen Klamotten. Vielleicht aber hatten Tracies wenig zartfühlende Lektionen ja auch etwas an seiner Haltung geändert. Klar war jedenfalls, dass die Frauen sich in seiner Nähe auf einmal ganz anders gaben. Im Büro grüßten ihn seit neuestem die Sekretärinnen, Angestellten und sogar einige Frauen aus den oberen Etagen, wann immer sie ihn sahen. Selbst Samantha hatte sich schon einmal ein »Hallo« abgerungen. Er war ganz sicher, dass das vorher nicht der Fall gewesen war, abgesehen von einigen, mit denen er befreundet war. Und es war nicht nur das. Es war auch die Art, wie sie ihn begrüßten – irgendetwas in ihrer Stimme. Es war nicht direkt eine Anmache, aber Jon fand es faszinierend, wie unglaublich musikalisch ein winziges Wörtchen wie »Hallo« klingen konnte.
Das verrückteste aber war nicht die Tatsache, dass Frauen nun auf einmal Notiz von ihm nahmen, das war schließlich Zweck der Übung. Das Verrückteste war, wie er sich dabei fühlte, denn wie bei der Trauerarbeit schien es verschiedene Phasen zu geben, von denen er bereits drei durchlaufen hatte: Verleugnung, Freude und Schmerz. Anfangs war er nur überrascht gewesen, dann
hatte er sich darüber gefreut, mittlerweile aber verletzte es ihn. Er hatte eine Weile gebraucht, bis er die Sache durchblickt hatte. Natürlich wusste er, dass er im Grunde für die kleinste Aufmerksamkeit dankbar sein sollte, und das war er zunächst auch gewesen. Aber dann war irgendeine Veränderung eingetreten, und als ihn schließlich sogar Cindy Biraling, die attraktive blonde Sekretärin des Geschäftsführers, zu grüßen begann, war er nicht mehr erfreut, sondern verletzt. Sie war dafür berüchtigt, dass sie selbst Leute ignorierte, die direkt vor ihrem Schreibtisch standen. Immer wenn er im Lauf der Jahre mit Cindy zu tun gehabt hatte, hatte sie ihn nicht nur nach seiner Durchwahl gefragt, sondern sich auch seinen Namen buchstabieren lassen – ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie keine Ahnung hatte, wie er hieß. Jetzt aber begrüßte sie ihn mit einem melodischen »Hi, Jonathan«. Das machte ihn wahnsinnig. Warum hatte sie ihn vorher nicht beachtet? Und warum kannte sie jetzt auf einmal seinen Namen?
Doch die neue Magie – und die Stimmung, die damit einherging – reichte nicht aus, um ihm ein Date mit Cindy oder einer anderen Frau aus seiner Firma zu verschaffen. Im Umgang mit den Frauen schien er noch immer genauso einsilbig und verkrampft wie
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