Tolle Maenner
Jons Fahrrad zurückgingen, schwenkte sie lächelnd die Tüte mit den Videos. »Worum ging es da drin eigentlich?«, fragte Jon.
»Nicht so wichtig«, sagte sie und blieb stehen, um ihn noch einmal zu mustern. »Stell dich doch mal vor den Laternenpfahl und lehn dich gegen die Bank. Ich will ein Bild von dir schießen.« Dann holte sie ihre kleine Kamera heraus und schaute durch den Sucher. Wow! Das würde sich in der Zeitung sicher gut machen. Was es wirklich so verrückt, sich das Foto auf dem Einband eines Buches vorzustellen? »Du siehst echt gut aus«, erklärte sie.
»Ehrlich?«
Tracie antwortete nicht. Das alles würde erstklassiges Material für ihren Artikel abgeben. Sie durfte nicht vergessen, sich alles zu notieren. »Okay«, befahl sie. »Und jetzt Haltung annehmen.«
»Meinst du eine bestimmte Haltung?«, fragte er, »oder reichen allgemeine Arroganz und Herablassung aus?«
»Gib dir einfach Mühe«, antwortete sie, und Jon posierte, den Fuß auf der Bank. Tracie machte ein Foto und zur Sicherheit noch eines. Durch den Sucher sah er sogar noch besser aus: So sah man weder die Unsicherheit in seinen Augen noch die ironische
Distanz zu seinen neuen Kleidern. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass das ganze Projekt nicht nur ihr zugute kommen sollte. Er musste sich etwas einfallen lassen, um an eine Frau zu kommen, und dazu brauchte er im Grunde nur noch ein wenig Selbstvertrauen. Sie steckte die Kamera wieder in ihre Handtasche und trat näher an ihn heran. »Und jetzt üben wir den richtigen Blick.« Tracie bedeutete ihm, sich zu setzen, und setzte sich neben ihn. Dann schaute sie ihm scharf ins Gesicht. »Mann, hast du schöne Augen!«
»Ehrlich? Das hast du mir noch nie gesagt.«
»Stimmt aber«, versicherte sie ihm. »Du musst sie allerdings auch einsetzen.« Sie dachte eine Minute lang nach, wie sie es ihm möglichst unmissverständlich erklären konnte, ohne sich selbst in Verlegenheit zu bringen. »Du musst lernen, sie zum Glühen zu bringen. Erinnerst du dich an Al Pacino?«
»Den verwechsle ich immer mit De Niro«, gestand Jon. »Weißt du, als Kind hab ich mit meiner Mom immer Sachen wie Magnolien aus Stahl angeschaut. Von den Thrillern hab ich die meisten verpasst.« Er überlegte. »Hat Pacino den Sonny oder den jungen Don gespielt?«
»Er war Michael, der Fredo umbringen musste. Mein Gott, das weiß doch jeder Mann!« Sie seufzte. »Roger hat jede Nacht vor dem Schlafengehen Der Pate angeschaut. Für einen richtigen Kerl ist das wie eine Gutenachtgeschichte.« Sie dachte an all die Nächte mit Roger, in denen sie einsam neben ihm lag, weil ihn die Corleones mehr faszinierten, als sie das je schaffen sollte. »Ist ja auch egal. Weißt du noch, wie Pacino die junge Sizilianerin angestarrt hat?« Wahrscheinlich nicht, aber sie baute darauf, dass er es sich nicht zuzugeben traute. »Du musst mich – oder irgendeine Frau, auf die du scharf bist – mit einem einzigen Blick anstarren, mit dem du ihr alles sagst.«
»Haben wir das nicht schon mal geübt?«
»Ja, aber das ist womöglich das Wichtigste überhaupt, was du lernen musst. Also versuch’s mal.«
»Wie meinst du das? Hier? Jetzt?«
»Hier und jetzt. Auf einer Bank der Verkehrsbetriebe von Seattle. Also konzentrier dich und schau mich an.«
Jon starrte zur Straßenlaterne hinauf. Sie folgte seinem Blick und sah in den Dunst hinauf, der an der leuchtenden Fläche vorüberwallte. Es sah aus wie ein Wasserzeichen in der Luft. Alt werde ich hier womöglich noch, dachte sie, aber nicht runzlig. Jon starrte immer noch in das nebelverhangene Licht. »Ich möchte dich bitten, deinen Starrblick jetzt mal auf mich zu richten«, erinnerte sie ihn schließlich.
»Ich kann nicht«, erklärte er.
Tracie seufzte und gab ihm die Tragetasche. »Genau deshalb haben wir diese James-Dean-Kassetten ausgeliehen. Giganten, Jenseits von Eden und Denn sie wissen nicht, was sie tun . Schau sie dir ganz genau an. Schau dir die Riesenradszene in Jenseits von Eden genau an. Achte auf seine Hände. Und darauf, wie er Natalie Wood in Denn sie wissen nicht, was sie tun ansieht.«
»Aber Tracie, die Filme sind vierzig Jahre alt!« Jon öffnete die Tüte und betrachtete die Kassetten, als wären sie schon verschimmelt.
»Schon, aber Sex kommt nie aus der Mode. Er war der erste ganz große böse Junge«, erklärte sie. »Aber jetzt versuch’s doch einfach mal. Wirf mich um mit deinem Blick.«
Jon seufzte tief, drehte den Oberkörper zu ihr und zog die
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