Tolle Maenner
über die Leber gelaufen?«, fragte Phil Tracie.
Sie zuckte nur mit den Achseln und seufzte. Dass ihre beste Freundin und ihr Freund einander sympathisch fanden, war wohl zu viel erwartet. Sie zog ihren Laptop aus der Tasche. Die Kurzbiografie war fertig, und den Muttertagsartikel hatte sie schon in der Redaktion entworfen, musste ihn aber noch ein wenig ausarbeiten.
Eines der Dinge, die Tracie an Phil wirklich schätzte, war die Tatsache, dass er ebenfalls der schreibenden Zunft angehörte. Im Gegensatz zu ihr aber schrieb er keine kommerziellen Sachen. Er war nämlich Künstler. Phil schrieb sehr, sehr kurze Kurzgeschichten, manchmal nicht einmal eine Seite lang. Oft konnte Tracie mit ihnen nichts anfangen, aber das gestand sie ihm nie. Seine Arbeit hatte etwas so Persönliches, so vollständig von jedem Publikum Losgelöstes, ja geradezu jede Leserschaft Verachtendes, dass sie ihn allein dafür schon respektierte.
Obgleich Phil seine Wohnung mit anderen teilte und auch immer schon Freundinnen gehabt hatte, wusste Tracie, dass er im Grunde ein Einzelgänger war. Vermutlich wäre er ohne weiteres in der Lage gewesen, fünf Jahre auf einer einsamen Insel zu verbringen und dann, wenn endlich ein Schiff zu seiner Rettung kam, ungnädig von seiner Schreiberei oder seiner Gitarre aufzublicken und zu erklären, dass dies nicht der rechte Zeitpunkt sei und er jetzt nicht gestört werden möchte. Zu ihr hatte er das jedenfalls schon oft genug gesagt, und sie hatte seine Haltung immer respektiert.
Manchmal glaubte sie schon, die Ausbildung zur Journalistin
und ihr Beruf hätten sie verdorben. Nachdem ihr jahrelang eingetrichtert worden war, immer an ihre Leser zu denken, fand sie Phils kompromisslose Einstellung ausgesprochen erfrischend – auch wenn er herabsah auf Schreibende wie sie, die sich in die Niederungen kommerzieller Themen begaben.
Sie jedenfalls wusste sehr genau, wer ihren Artikel lesen würde: Vorstadtbewohner beim Morgenkaffee; Szenegänger aus Seattle, während sie beim Brunch an einem Bagel kauten; alte Damen in der Bibliothek. Tracie seufzte und beugte den Kopf, damit sie das Display besser sehen konnte.
Nach ein, zwei Minuten stieß Phil sie an. »Kannst du das jetzt nicht bleiben lassen und einfach mal das Leben genießen?«
»Phil, ich hab dir doch gesagt, dass ich diesen blöden Artikel fertig machen muss. Wenn ich ihn nicht rechtzeitig schaffe, lässt Marcus mich gar keine Features mehr schreiben. Der wartet doch nur auf einen Grund. Oder er schmeißt mich gleich ganz raus«, fauchte sie.
»Das sagst du doch bei jedem Artikel«, fauchte Phil zurück. »Hör auf, dauernd Angst zu haben.«
»Ich meine es ernst. Wirklich, dieser Artikel ist mir echt wichtig. Ich versuche, mal was anderes zum Muttertag zu machen.«
»Hey, was soll das; du hast doch nicht mal eine Mutter«, warf Jeff ein.
Tracie wandte sich Jeff wie einem Kind zu. »Jawohl, Jeff, es stimmt, dass meine Mutter gestorben ist, als ich noch sehr jung war. Aber du musst wissen, dass Journalisten nicht immer nur über sich selber schreiben. Erinnerst du dich noch an den Artikel über euch? Den hab ich auch geschrieben, obwohl ich keine Geschwollene Drüse bin. Nicht mal’ne geschwollene Brustwarze. Ob du’s glaubst oder nicht, manchmal schreiben Journalisten auch über aktuelle Themen. Oder berichten vom Leben anderer Leute. Deswegen nennt man uns nämlich Berichterstatter.«
»Wow, so viel Ironie erschlägt einen ja glatt«, sagte Frank.
»Mann, wann kommen wir endlich dran?«, fragte Jeff.
»Nicht vor zwei, Mann«, erklärte Frank.
Tracie musste sich schwer zusammennehmen, um nicht laut aufzustöhnen. Zwei Uhr! Vor Morgengrauen würde sie hier nicht rauskommen.
»Mein Gott, hat Bob das nicht besser regeln können?«
»Ich hoffe, die Schwachköpfe haben sich bis dahin verpisst und wir kriegen ordentlich Zuhörer«, sagte Phil.
»Ganz bestimmt. Die Glands kriegen immer mehr Fans«, beruhigte Tracie ihn. Insgeheim war sie allerdings anderer Meinung. Das Publikum könnte ziemlich eklig werden, wenn man ihnen ihre Standardhits vorenthielt.
Laura kam von der Tanzfläche zurück. Sie hatte einen etwas kurz geratenen Typen im Schlepptau, der wie ein Buchmacher der Vierzigerjahre gekleidet war. Tracie fiel auf, dass kleine Männer oft auf Laura standen. Aber die Anziehung beruhte ganz entschieden nicht auf Gegenseitigkeit. »Dürfen wir uns zu euch setzen? Oder verwandelt ihr euch um Mitternacht in Ratten und
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