Tolstoi Und Der Lila Sessel
hinterlassen hatte, als Zeugnis, dass auch er das Zwischenreich gekannt hatte, für das es keine Worte gibt, dass andere es im Laufe der Zeiten gekannt hatten und dass sie auf ihrem eigenen bescheidenen Weg den richtigen Ort erreicht hatte.«
Obwohl sie dem Tod unterschiedliche Bedeutungen beimessen, teilen Waters’ Figuren eine ehrfürchtige Haltung vor dem Leben. Sie sind zutiefst dankbar dafür, dass sie leben. Eine von ihnen erklärt: »Das Spiel von Licht und Schatten der Blätter, das über das Erdreich hinwegzieht wie dunkle Zellen, der Garten in seiner Gesamtheit, in dem alles miteinander harmonisiert, ineinander übergeht … Lebendig zu sein ist das, was am Ende zählt.«
Eine andere zitiert ein Haiku von Miztua Masahide, einem Samurai aus dem 17. Jahrhundert und berühmtem Verfasser von Haikus. Ich habe ernsthaft erwogen, dieses Gedicht über unserer Tür einschreiben zu lassen: »Seit mein Haus abgebrannt ist, / kann ich den Mondaufgang / besser sehen.«
Besser zu sehen, das wünsche ich mir für meine Kinder. Dass sie nicht das Schlechteste in dem sehen, was das Leben für sie bereithält, sondern das Beste. Durchhaltevermögen im Angesicht von Enttäuschung.
Was wünsche ich meinen Kindern noch? In seinen Erinnerungen Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede schreibt Haruki Murakami, wie er, nachdem er sich einmal dazu entschieden hatte, Schriftsteller zu werden, unverdrossen an seinem Ziel festhielt: »Man muss in seinem Leben Prioritäten setzen und festlegen, wie man sich seine Energie am besten einteilt. Hat man bis zu einem gewissen Alter kein solches System gefunden, fehlt der Lebensmittelpunkt, und man ist nie im Gleichgewicht.« Nachdem er das Schreiben zum Mittelpunkt seines Lebens erklärt hat, konzentriert er sich darauf und überlegt, auf welche Gewohnheiten er verzichten kann. Das Laufen kann er nicht aufgeben (da er zu Übergewicht neigt, läuft er, um sein Gewicht im Griff zu behalten), aber gesellschaftliche Aktivitäten und langes Aufbleiben streicht er aus seinem Leben.
»Er verzichtet darauf, alles zu tun«, sagte ich zu Jack an dem Abend nach dem Essen.
Zur Feier von Georges Geburtstag hatte es ein festliches Essen gegeben, eine Fortsetzung der Festlichkeiten zu seinen Ehren. In der Schule hatte eine Party stattgefunden, am Nachmittag ein Treffen mit Freunden, und jetzt dieses Abendessen in der Familie. Am Wochenende würde es eine weitere Geburtstagsfeier mit meinen Eltern und Natasha geben. Ich hatte eine Menge Eiskuchen gemacht und einen Haufen Nerf-Gewehre und Munition besorgt (Seifenblasen und Topfschlagen waren in diesem Jahr nicht mehr gefragt). Und ich hatte das Geburtstagsbanner in der Küche drapiert, das jetzt den Sommer über hängen bleiben würde. Alle vier Jungen waren im Sommer geboren, und Jacks Geburtstag Ende August beendete die Sommersaison. Das Wochenende – und mit ihm der Sommer – hatte gerade erst begonnen, und ich war schon erschöpft.
Alles zu tun? Was erzählte ich da? Mit Meredith, den vier Jungen und meinen Eltern ist unser Haus an den meisten Wochenenden voll bis unters Dach. Im Sommer kommen noch mehr Gäste, Matratzen werden auf dem Fußboden ausgelegt, Handtücher türmen sich im Badezimmer. Immer muss etwas zu essen da sein, Milch, Bananen, Orangensaft und Brot stehen ganz oben auf der Liste der Dinge, die täglich zu besorgen sind. Unordnung entsteht und breitet sich in allen Räumen aus: Bücher mit geknicktem Rücken, kaputtes Spielzeug, benutzte Gläser, zerlesene Zeitungen und schmutzige Wäsche, überall schmutzige Wäsche. Kinder bringen Sand und Blätter ins Haus, Katzen verlieren überall ihre Haare. Alle zwei Wochen kommt eine brasilianische Freundin mit ihrer Mannschaft zu uns und macht das Haus mit einer Effektivität und Gründlichkeit sauber, die ich beneide. Kaum sind vierundzwanzig Stunden nach dem Putzdurchgang vergangen, haben sich wieder Chips in den Teppich getreten, Olivenöl ist auf dem Herd und der Arbeitsfläche verschüttet worden, und eine Katze hat irgendwo durchgekautes Gras erbrochen.
»Niemand will, dass du versuchst, alles zu tun«, sagte Jack mit Nachdruck und sah mir zu, wie ich die Reste des Eiskuchens von dem Blech leckte. Ich sollte auch mit Laufen anfangen, dachte ich: noch eine neue Aktivität auf der Liste.
»Du meinst, ich sollte nicht lesen und schreiben und mich mit Freundinnen treffen und mit den Kindern etwas unternehmen und für die Familie einkaufen und die Wäsche machen und fantastische
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