Tolstoi Und Der Lila Sessel
Frühling, wenn ich diese Geräusche hörte und diese Düfte roch, und die Geschichte versetzte mich zurück in meine Kindheit.
Auch Rossbach, der Erzähler in Burning Bridges, Breaking Glass , spürt den Sog der Vergangenheit. Er ist ein Mann mittleren Alters, der sich für zwei Wochen in einen teuren Erholungsort in der Wüste begibt, um sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Dort begegnet ihm Karen, die Frau eines Arztes. Er verliebt sich in sie, und als sie abreist, beschließt er, ihr nach Ohio zu folgen.
Rossbach macht Karen in Ohio ausfindig, aber, wichtiger noch, er entdeckt den Ort und die Zeit seiner Jugend wieder, den »überbordenden, glorreichen Frühling, in dem die Blumen aus den Rabatten sprießen und Bienen überall herumsummen«. Ein Frühling im Mittleren Westen hat auch für mich etwas Beglückendes. Während er auf den Spuren seiner Kindheit den »rosa und lila Frühling, den er vergessen hatte«, wiederfand, wich ich ihm nicht von der Seite.
Rossbach taucht ein in den »hellen Frühlingsnachmittag voll mit summenden Bienen«, wo »die Kirschbäume auf den Parkplätzen ihre rosa und weißen Blüten auf die Autos herabschneiten, die darunter standen«. Er erinnert sich an diese »Tage mit siebzehn, wenn man sich seiner selbst in seinem Körper bewusst wird, der Frühling von allem, das Wunder«, und spürt, »die grüne Zündung funktionierte noch, der Funke war noch da«: Mit einem Mal scheint für ihn wieder alles möglich.
Ich las die Geschichte in dem Gefühl zu Ende, dass auch meine »grüne Zündung wieder funktionierte«, auch meine Jugend wieder lebendig wurde. Ich erinnerte mich, wie ich nachts im Bett lag, bei weit geöffnetem Fenster, und die warme Sommerluft hereinströmte. Vom Bett aus konnte ich den Verkehr auf der Golf Road und das Radio auf der Veranda unserer Nachbarn hören. Ich roch den dumpfen Geruch umgegrabener Erde in unserem Garten, den süßlichen von frisch gemähtem Gras, den Rauch von Grillfeuern. Die Gerüche und Klänge waren wie eine Einladung, eine Aufforderung an mich, hinauszulaufen und am Leben teilzuhaben. Damals war ich schon älter, über das Versteckspiel und das Warten auf den Eiswagen hinaus, aber ich glaubte immer noch, dass meine Zukunft unbegrenzt vor mir lag. Ich wusste, dass die zu meinem Fenster hereinwehende Brise mir Abenteuer, Liebe und neue Erfahrungen verhieß, die nur darauf warteten, Wirklichkeit zu werden.
Bücher waren meine Zeitmaschine, sie machten mich gesund und brachten mir die Glückseligkeit der Kindheit zurück. Knut Hamsuns Roman Schwärmer machte meine Zeit am College wieder lebendig, die Frühlingsabende, als ich einen jungen Mann, in den ich frisch verliebt war, unter einem blühenden Baum küsste. Hamsun schildert die hormonellen Turbulenzen des Frühlings in all ihrer verwirrenden Kraft: »Doch nun war abermals Frühling. Und für dieses weite Herz war der Frühling kaum zu ertragen. Er trieb nicht nur die Schöpfung zum Äußersten, nein, er blies auch mit würzigen Winden in unschuldige Nasenlöcher.«
Der Schauplatz von Schwärmer ist eine Kleinstadt an der norwegischen Küste um die Jahrhundertwende. Nachdem die Einwohner den ganzen Winter eingesperrt waren, treten sie jetzt, als frische Winde vom Meer her kommen, aus ihren Häusern und fühlen sich befreit durch den Geruch der wärmer werdenden Erde, durch die Bäume und Blumen, die in früher Blüte stehen. Die Figuren versinken in lustvollen Träumereien von Liebe und Reichtum – der Sonnenschein, die plötzliche Wärme haben das Begehren geweckt: »So recht ein Wetter zum Lustwandeln und Schwärmen … Und von allen Inseln und Schären hörte man die Schreie der Lummen und Austernfischer, der Möwen und Eidergänse. Und der Seehund steckte seinen triefnassen Kopf aus dem Wasser, sah sich um und tauchte wieder zurück in seine Welt.«
Gefühle und Sehnsüchte beruhigen sich, sobald der Frühling in den Sommer übergeht: »Getreide und Kartoffeln wuchsen, und die Wiesen wogten; in jedem Zuber lagen Heringe, Kühe und Ziegen gaben eimerweise Milch und wurden dennoch fett.« Die Nahrungsmittel sind, so wie die Träume, reichlich vorhanden: »Man schwärmt im Sommer, und danach macht man zunächst einmal Schluss. Manche schwärmen allerdings ihr ganzes Leben lang und ändern sich nie.«
Glückliche Menschen, die ihr Leben lang träumen können. Dafür ist ein gewisser tief verankerter Optimismus erforderlich, nämlich der Glaube, dass Träume wahr werden
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