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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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›Hinwendung zum einfachen Leben‹ und der Name ›Graf T.‹ in Petersburg mittlerweile fast synonym sind. Unverdientermaßen gelte ich als Autorität auf diesem Gebiet. Ihre Freundin Axinja aber«, T. deutete mit dem Kopf auf das Porträt, »ist in dieser Hinsicht schon viel weiter fortgeschritten. Wenn sie es will, ist sie von einem einfachen Bauernmädchen nicht mehr zu unterscheiden, daher wird sie Ihnen mühelos die Manieren der Dorfbewohner beibringen. Und die Arbeit auf dem Feld wird Ihren Körper kräftigen und den Geist reinigen.«
    Olsufjew blickte erst zu Axinjas Porträt, dann zu T. und überlegte lange.
    »Gestatten Sie«, sagte er schließlich, »aber wenn ich mein Leben dem Ackerbau widmen will, muss ich doch zuerst in den Ruhestand gehen?«
    »Ich glaube«, erwiderte T., »ein Telegramm an die Allerhöchste Person ist völlig ausreichend. Das ist schließlich das einzige Privileg eines Gardisten. Nicht eingerechnet das Privileg, selbstmörderische Attacken zu reiten – aber wir haben, Gott sei Dank, nicht das Jahr achtzehnhundertzwölf.« 76
    Olsufjew blickte kurz zu seinem Helm auf dem Tisch.
    »Mit einem Telegramm bin ich einverstanden«, sagte er fröhlich. »Das ist ja mal etwas anderes, also von mir aus. Aber wie soll ich meinen Besitz an die Armen verteilen? Er ist sehr umfangreich, bitte halten Sie das nicht für Angeberei. Es würde Jahre dauern und währenddessen würde ich die Feldarbeit genauso wenig zu sehen bekommen wie meine eigenen Ohren.«
    »Ich meine«, erwiderte T., »Sie sollten die Angelegenheit irgendeiner wohltätigen Gesellschaft übertragen, die für ihre Uneigennützigkeit bekannt ist. Aber gestatten Sie, dass ich Ihnen einen Rat gebe – Sie sollten unverzüglich handeln, solange Ihr Entschluss noch feststeht, so dass Sie nicht mehr zurückkönnen. Viele starke Menschen sind schon Opfer ihrer Zweifel und Unschlüssigkeit geworden.«
    Olsufjew grinste verächtlich.
    »Sie kennen mich aber schlecht, wenn Sie so von mir denken. Wissen Sie was? Ich werde noch heute alles Nötige unternehmen. Ich werde eine wohltätige Gesellschaft finden. Advokaten, denen ich die ganze Prozedur anvertrauen kann. Und bis heute Abend habe ich alle Papiere unterschrieben.«
    Sein Blick fiel auf das Gewehr, das auf T.s Knien lag.
    »Seien Sie vorsichtig, Graf«, bemerkte er. »Sie haben den Hahn gespannt und es ist geladen. Mit Waffen spaßt man nicht. Geben Sie her …«
    Nach kurzem innerem Kampf reichte T. ihm das Gewehr. »Mag kommen, was will«, dachte er und spürte eine Kühle in der Brust. »Das wird interessant …«
    Mit ernster Miene klickte Olsufjew die Hähne vorsichtig in eine sichere Position, ging zur Wand und hängte das Gewehr an seinen Platz.
    »Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«, wandte er sich an T. »Schließlich ist es das erste Mal im Leben, dass ich … ehem … mich dem einfachen Leben zuwende. Plötzlich kommt da jemand oder es gibt Fragen …«
    »Aber wenn ich bei Ihnen bin, wird es so aussehen, als hätten Sie Ihre Entscheidung nicht selbstständig getroffen«, erwiderte T. »Außerdem ist es besser, wenn ich unterdessen mit Axinja spreche. Sie wird bald hier sein. Ich sage es Ihnen ganz offen, als Freund: Einer großen Schicksalswende, wie Sie sie vorhaben, kann eine Frau im Weg stehen. Besonders, wenn sie Ihnen nahesteht – da gibt es Geschrei und Tränen … Ich will versuchen, sie darauf vorzubereiten.«
    »Hm«, machte Olsufjew; er runzelte die Stirn und musterte prüfend das Porträt. »Eine Frau – das ist immer gefährlich. Gift in einem kostbaren Becher, zweifellos.«
    T. stand auf, stellte sich so hin, dass er die Sicht auf das blaue Fläschchen verdeckte, und ließ es dann in seine Tasche gleiten.
    »Also gut, Graf«, fuhr Olsufjew fort und wandte sich von dem Porträt ab, »dann werde ich mich jetzt erkundigen, wie das alles schnellstmöglich abgewickelt werden kann. Wir sehen uns heute Abend oder morgen – Sie sind doch noch in der Stadt?«
    T. nickte.
    »Ich bleibe länger in Petersburg.«
    »Dann verabschiede ich mich noch nicht«, sagte Olsufjew und griff nach der Türklinke. »Und noch etwas, Graf – danke für die geistige Unterstützung. Sie können sich nicht vorstellen, wie leicht und ruhig mir jetzt ums Herz ist.«
    Als die Tür zu war, ging T. rasch zu dem Sekretär, aus dem Olsufjew die Fotografie und das Fläschchen entnommen hatte, fand dort Bleistift und Papier und schrieb:
    Solowjow - Anhänger, Versammlung. Morgen um sechs,

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