Tolstois Albtraum - Roman
hin. Dann rief sie:
»Alexis!«
T. schwieg.
Die Tür ging auf und Axinja betrat den Salon.
Als sie T. am Tisch sitzen sah, blieb sie mit offenem Mund verwundert stehen und ließ ihr purpurrotes Ridikül zu Boden fallen.
Sie war nicht wiederzuerkennen. Von dem lachlustigen Mädchen, das T. in der Provinzstadt auf der Straße kennengelernt hatte, war fast nichts mehr da – nur die Augen funkelten in ihrem früheren grünlichen Glanz. Vor ihm stand eine mondäne junge Frau im sommerlichen Seidenkleid, mit einem Anhänger im tiefen Ausschnitt. Ihre Haare waren gelockt und sorgsam in eine poetische Unordnung gebracht.
»Ljowa«, stieß sie verwundert hevor. »Ljowa … Bring mich nicht um!«
T. räusperte sich verlegen.
»Was redest du denn da … Du hast wohl irgendwelche infamen Gerüchte vernommen?«
»Ljowuschka«, wiederholte Axinja, »bitte nicht!«
»Dumm bist du immer noch«, sagte T. »Aber herausgemacht hast du dich …«
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, durchquerte Axinja den Salon und setzte sich auf eine schmale Couch an der Wand.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Olsufjew und ich hatten etwas zu besprechen. Wir sind schließlich alte Bekannte – das weißt du sicher. Jedenfalls hat er mich hier zurückgelassen und er selbst ist in einer wichtigen Angelegenheit unterwegs. Das wird wohl bis heute Abend dauern.«
»Wollt ihr euch duellieren?«, rief Axinja mit weit aufgerissenen Augen.
»Nein«, lächelte T. »Mach dir keine Hoffnung.«
»Schwöre es, Ljowa.«
»Schwören werde ich nicht, weil ich dieses Ritual nicht begreife. Ich verspreche jedoch, dass wir uns nicht duellieren werden. Aber ich habe ein paar Fragen an dich wegen …«
»Bloß keine Vorwürfe«, fiel Axinja ihm ins Wort. »Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen, als du mich in diesem Bauernwagen allein beim Hotel zurückgelassen hast, völlig mittellos?«
»Ich …«, sagte T. verwirrt. »Ich gebe zu, daran habe ich nicht gedacht.«
»Ach, daran haben Euer Erlaucht nicht gedacht?«
»Nein«, erwiderte T. »Mir schien, du hättest … Nun, wie soll ich sagen, dein eigenes Leben, in das ich mich nicht allzu sehr einmischen sollte.«
Axinja lachte böse auf.
»Genau deshalb bin ich jetzt mit Alexis zusammen.«
»Ich frage nicht, warum ihr euch nähergekommen seid, Olsufjew und du. Das ist deine Sache. Aber was hast du ihm über mich erzählt?«
»Ach, im Grunde genommen gar nichts.« Axinja zuckte die Achseln. »Er hat sich für Optina Pustyn interessiert, du wolltest doch mit dem Bauernwagen dorthin fahren. Ich habe ihm erklärt, du hättest mich auch danach gefragt, und ich hätte vor lauter Angst gesagt, das sei jenseits des Waldes.«
»Aha. Und was ist das für ein übler Trick – sich als Bauernmädchen zu verkleiden und einem Betrunkenen aufzulauern?«
»Aus dir wird man einfach nicht schlau, Ljowa. Ist es jetzt schon eine Sünde, sich dem einfachen Leben zuzuwenden? Außerdem gilt es bei Männern der höheren Kreise als guter Ton, unschuldige, wehrlose Mädchen zu verführen, ohne Rücksicht darauf, was danach aus ihnen wird … Es sind Lackaffen wie du, die sich den Satz ausgedacht haben: ›In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt …‹ Wieso ist es dann gleich ein übler Trick, Ljowuschka, wenn man auf eure Ausschweifungen entsprechend antwortet?«
T.s Gesicht überzog sich mit roten Flecken.
»Angenommen, damit hast du recht. Aber was sind das für Bücher, über die alle reden? Vor allem dieses: Mein Leben mit Graf T.: Höhenflüge, Niedergänge und die Katastrophe ?«
»Ljowa, die Menschen müssen ihren Lebensunterhalt verdienen«, sagte Axinja. »Nicht jeder besitzt ein Landgut auf dem Hügel und ein weißes Pferd mit einem dekorativen Pflug.«
T. spürte, dass er noch mehr errötete.
»Aber woher hast du Material für zwei ganze Bücher? Was für Höhenflüge und Niedergänge? Wir haben doch insgesamt nur eine halbe Stunde zusammen verbracht.«
»Ja«, erwiderte Axinja. »Das stimmt. Aber es kommt doch auf die Intensität des individuellen Eindrucks an. Der Prophet Mohammed war auch nur für einen Moment im Himmel und die Leute erinnern sich bis heute daran.«
T. schüttelte argwöhnisch den Kopf.
»Und warum hast du meinen Familiennamen angenommen? Wer hat dir das erlaubt?«
»Der Name ist mein literarisches Pseudonym. Das darf man frei wählen. Aber wenn du ein anständiger Mensch wärst, Ljowa, dann wäre es mein Familienname.«
T. spürte, wie nun auch sein Hals rot
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