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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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hätte Solowjow Sie unterschätzt«, murmelte T. und hob den Blick zu Olsufjew. »Sie haben es verstanden. Aber auf Ihre ganz eigene Weise.«
    Olsufjew wandte die Augen ab.
    »Dieser Aufnahme nach zu urteilen«, sagte T., »waren wir früher befreundet. Wir haben zusammen Wein getrunken. Uns wahrscheinlich über geheimnisvolle, wunderbare Dinge unterhalten. Und dann beschlossen Sie, mich zu präparieren wie ein hergelaufener Nihilist einen Frosch präparieren würde. Sie ließen meine Muskeln unter Ihren elektrischen Schlägen zucken …«
    »Ich bin bereit, Ihnen jedwede Genugtuung zu geben«, erwiderte Olsufjew. »Wenn Sie ein Duell wünschen, wählen Sie die Bedingungen.«
    T. sah zu dem blauen Fläschchen auf dem Tisch hinüber. Es war exakt halb voll.
    »Ein Duell?«, fragte er. »Ihre Tat, mein Herr, nimmt Ihnen das Recht auf eine derartige Begegnung. Außerdem kann ich Duelle nicht billigen. Ich habe einen ganz anderen Vorschlag.«
    »Nämlich welchen?«
    »Ich lasse Ihnen die Wahl. Entweder blase ich Ihnen mit dem Gewehr den Kopf weg. Zwar ohne besondere Lust, aber auch ohne Mitleid. Oder Sie nehmen das Präparat selbst ein. Dann werden Sie erfahren, wie es ist, ein Objekt fremder Experimente zu sein.«
    Olsufjew warf einen Blick auf das blaue Fläschchen und erbleichte.
    »Ich werde gar nichts erfahren«, sagte er. »Im Gegenteil, ich werde alles vergessen. Der, an dem Sie sich rächen wollten, verschwindet, und Ihre Rache verliert jeden Sinn.«
    »Umso besser, mein Herr«, versetzte T. »Schließlich heißt es ›Die Rache ist mein, und ich will vergelten‹. 75 Sehen Sie es nicht als meine Rache an. Betrachten Sie es als Möglichkeit, noch einmal ganz von vorne zu beginnen.«
    »Um keinen Preis.«
    »Sie haben noch die andere Möglichkeit«, sagte T. und hob den Gewehrlauf. »Wählen Sie. Aber schnell, sonst muss ich die Wahl treffen.«
    »Sie verlangen von mir, dass ich einfach so in die schwarze Grube der Bewusstlosigkeit springe?«, flüsterte Olsufjew und blickte T. ungläubig an. »Lassen Sie mich wenigstens meine Angelegenheiten regeln und Anweisungen geben …«
    T. grinste nur zur Antwort.
    »Ich kann Ihnen nützlich sein«, fuhr Olsufjew hitzig fort. »Auch wenn ich Sie nicht mit Solowjow zusammenbringen kann, ich weiß aber, wo sich seine Anhänger treffen.«
    »Wo denn?«
    »Sie treffen sich einmal in der Woche. Um sechs Uhr abends, im Haus Nummer zwei in der Miloserdny-Gasse, hier ganz in der Nähe. Morgen ist es wieder so weit. Die Polizei beobachtet sie, hat aber keine ernsthaften Bedenken ihretwegen. Um zur Versammlung zugelassen zu werden, reicht es, einen Beleg dafür vorzulegen, dass Sie Solowjow kannten. Zum Beispiel diese Fotografie hier. Wenn Sie wollen, gehen wir zusammen hin!«
    »Will ich nicht. Trinken Sie jetzt?«
    »Nein«, antwortete Olsufjew entschlossen.
    T. schwenkte den Gewehrlauf.
    »Mein Herr«, sagte er. »Ich kann nicht mehr dramatisch den Hahn spannen, um zu beweisen, dass es mir ernst ist. Er ist nämlich schon gespannt. Ich kann nur noch abdrücken. Und das mache ich bei drei, ich verspreche es Ihnen. Eins …«
    Olsufjew blickte auf das Porträt von Axinja.
    »Kann ich wenigstens eine Nachricht schreiben?«
    »Zwei …«
    »Zum Teufel mit Ihnen«, sagte Olsufjew erschöpft. »Leben Sie wohl und seien Sie verflucht.«
    Er nahm das Fläschchen vom Tisch, zog den Stopfen heraus und trank den Rest der Flüssigkeit in einem Schluck aus. Dann stellte er das Fläschchen zurück und starrte aus dem Fenster, auf die Fassaden an der gegenüberliegenden Seite des Flusses. Seine Miene zeigte schmerzhafte, qualvolle Erwartung.
    T. beobachtete ihn aufmerksam, aber dennoch bekam er nicht mit, wann genau das Präparat zu wirken anfing. Ungefähr eine Minute war vergangen, als der gequälte Ausdruck auf Olsufjews Gesicht allmählich einem Befremden wich. Dann gähnte er, wobei er sich taktvoll die Hand vor den Mund hielt, drehte sich zu T. um und sagte:
    »Pardon. Wo waren wir stehengeblieben?«
    T. war auf alles Mögliche gefasst gewesen, aber nicht darauf.
    »Wie?«, fragte er verwirrt.
    »Es ist mir völlig entfallen«, sagte Olsufjew und zeigte ein so zutrauliches Lächeln, dass T. Gewissensbisse verspürte. Er sah ein, dass er improvisieren musste.
    »Wir sprachen gerade darüber … ehem …, dass Sie sich entschlossen haben, Ihren Besitz an die Armen zu verteilen und Ihr Leben fortan einfacher bäuerlicher Arbeit zu widmen. Sie hatten sich an mich gewandt, weil der Ausdruck

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