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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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dorthin gefahren – der Zigeuner Lojko.«
    T. fing an zu lachen.
    »Nicht gerade die beste Wahl«, sagte er. »Der Zigeuner Lojko ist tatsächlich ein skrupelloser Schläger, aber in letzter Zeit hat er Probleme mit den Augen.«
    Olsufjew zuckte die Achseln.
    »Sie waren alle nur Treiber.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen glauben soll«, sagte T. »Sie erzählen wirklich erstaunliche Dinge. Mit diesem Präparat könnten die Deutschen doch alle besiegen …«
    »Tja«, sagte Olsufjew, »das scheint nur so. Leider wirkt das Präparat längst nicht jedes Mal so wie beschrieben. Manchmal kommt es auch zu vorübergehenden Geistesstörungen und Halluzinationen, und dann handeln die Menschen unberechenbar. Die Germanen haben Experimente in Afrika gemacht, und in dreißig Prozent der Fälle zogen die Eingeborenen, die das Präparat bekommen hatten, die Waffen gegen die Experimentatoren.«
    »Das heißt, Sie wussten, dass mein Verstand Schaden nehmen könnte, und trotzdem ließen Sie sich darauf ein?«
    Olsufjew schüttelte energisch den Kopf:
    »Nein, Graf, ich schwöre! Diese Fakten kamen erst später heraus! Knopf war beunruhigt wegen Ihres Verhaltens auf der Jacht der Fürstin Tarakanowa, als Sie im Maschinenraum Feuer legten und dann mit dem Schürhaken auf seine Agenten losgingen und sie als Amazonas-Pack bezeichneten. Er hat bei uns nachgefragt und wir haben die Nachfrage weitergeleitet an das Agentennetz, über das wir das Präparat bezogen hatten. Erst danach kam das alles heraus. Als Knopf Ihnen Tee anbot, wussten wir noch nichts von den Nebenwirkungen.«
    »Verstehe«, sagte T. »Mit Ihnen über Moral oder Mitgefühl für den Nächsten zu sprechen hat keinen Sinn, außerdem ist es zu spät, daher sparen wir uns das. Wie können Sie beweisen, dass Sie nicht lügen?«
    Olsufjew schmunzelte.
    »Wie Sie sicher verstehen, Graf«, sagte er, »bin ich nicht darauf vorbereitet, Ihnen die Wahrheit meiner Worte zu beweisen … Doch etwas kann ich immerhin vorweisen.«
    Er stand vom Tisch auf, ging zu dem Sekretär in Form einer Muschel und klappte den Deckel hoch. T. hob das Gewehr, aber Olsufjew beschwichtigte ihn mit einer Handbewegung.
    »Ich habe noch eine Fotografie, die vor langer Zeit gemacht wurde, als wir noch jung waren«, sagte er. »Damals studierte ich noch an der Universität, und Solowjow hatte schon seinen komischen Schnurrbart … Zum Teufel, wie viel Kram hier herumliegt … Bei unserer letzten Begegnung hat er, spontan wie er ist, diese Aufnahme beschriftet. Die Beschriftung hat, glaube ich, etwas mit Optina Pustyn zu tun …«
    Wieder am Tisch, hielt er T. die Fotografie hin und stellte eine kleine Flasche aus blauem Glas und mit einem schwarzen Gummistopfen auf den Tisch.
    »Das ist der Rest des deutschen Präparats«, sagte er und setzte sich neben T. »Knopf hat Ihnen etwas davon in den Tee gegossen. Das ist alles, Graf. Andere Beweise für die Wahrheit meiner Worte habe ich nicht.«
    T. betrachtete die Fotografie. Drei Männer saßen auf einer Bank mit einer seltsam geschwungenen Rückenlehne, offenbar in einem Park: Durch das lichte Laub sah man verschwommene, nicht recht fokussierte weiße Statuen. Olsufjew, mit noch jugendlich rundem Gesicht, schulterlangem Haar und ohne jedes Anzeichen der künftigen Glatze, saß in der Mitte. Links von ihm saß, über das ganze Gesicht lächelnd, zwei Weinflaschen in den erhobenen Händen, ein sorgloser Zecher, in dem T. mit einem leichten Schauder sich selbst erkannte. Rechts saß ein gelangweilter junger Mann mit kurzgeschorenem Haar und seltsam herunterhängendem Schnurrbart – er blickte nicht in die Kamera, sondern zur Seite und nach unten.
    »Das ist Solowjow«, erkannte T.
    Er drehte die Fotografie um. Auf der Rückseite stand:
    Für Ljowa und Alexis, der das sowieso nicht versteht. Man sagt oft »Ein Spiegel spiegelt den anderen«. Doch kaum jemand erfasst die Tiefe dieser Worte. Wenn man sie aber verstanden hat, sieht man sofort, wie die Falle dieser Welt konstruiert ist. Ich betrachte einen Baum im Garten. Das Bewusstsein sieht den Baum an. Aber der Baum – die Zweige, der Stamm, das grüne Zittern des Laubs – ist doch auch ein Bewusstsein: Ich bin mir all dessen bewusst. Das bedeutet, das Bewusstsein sieht ein Bewusstsein an, das sich als etwas anderes ausgibt. Ein Spiegel spiegelt den anderen. Eines gibt sich als vieles aus und sieht auf sich selbst und bringt sich selbst in eine hypothetische Trance. Wie erstaunlich. Wladimir
    »Scheint so, als

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