Tolstois Albtraum - Roman
unglaubliche okkulte Macht verfügt. Sie müssen ihn besiegen, auch wenn das praktisch unmöglich ist.«
»Hat er nicht gesagt, wie der Geist heißt?«
»Doch, er hat den Namen genannt«, sagte Olsufjew. »Er heißt … ein sehr auffälliges Wort, Astaroth … oder …«
»Ariel?«
»Ja, ich glaube, so heißt er.«
»Aber warum kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern?«
»Weil ich für Ihre Reise die idealen Voraussetzungen schaffen wollte, die Solowjow erwähnt hat«, erwiderte Olsufjew. »Ich habe Ihnen geholfen, alle Sorgen, alle Angelegenheiten zu vergessen, mit Ausnahme der allerwichtigsten.«
»Warum?«
»Weil ich verfolgen wollte, wohin Sie gehen und was dieses Optina Pustyn ist.« Olsufjew seufzte. »Aber der Weg lässt sich nicht durch Täuschung herausfinden. Daher kommen Sie mir jetzt gerade recht. Offen gestanden habe ich die Möglichkeit einer solchen Entwicklung der Ereignisse zu spät geahnt.«
»Aha«, sagte T. »Ich glaube, allmählich begreife ich. Aber wie haben Sie mich dazu gebracht, alles zu vergessen?«
»Das hat einer meiner Leute gemacht?«
»Wer genau?«
»Knopf.«
»Knopf?«
Olsufjew nickte.
»Um Warsonofi zuvorzukommen, erschien er in Jasnaja Poljana und erzählte Ihnen Ihre eigene Geschichte, in einer leicht veränderten Fassung. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit erklärte er, die Petersburger ökumenistischen Lamaisten hätten vor, in der Nähe Ihres Landguts dem tantrischen Yidam Ro-lang Gjal-po, den sie als ihren Erlöser anerkennen, ein Menschenopfer darzubringen. Angeblich hatten sie dafür die Tochter des örtlichen Geistlichen auserkoren und stattfinden sollte die Freveltat in der Dorfkirche. Und Sie hätten sich freiwillig anerboten, das Mädchen zu retten. Daher auch die Kutte – Sie haben sie angezogen, um in die Kirche zu gelangen, ohne Verdacht zu erregen.«
»Aber warum …«
»Warten Sie. Sobald Sie in den Zug eingestiegen waren, bestellte Knopf Tee und gab in Ihr Glas eine geringe Menge von einem Geheimpräparat, das im chemischen Laboratorium des deutschen Generalstabs in Bremen hergestellt wird. Es handelt sich um eine von deutschen Chemikern entdeckte Substanz mit einer komplizierten Zusammensetzung auf der Basis von Natriumsalz und Karbokolophoniumsäure, die eine selektive Wirkung auf das Gedächtnis hat.«
»Aha«, rief T., »das ist es also! Ich wusste es doch. Und wie wirkt dieser deutsche Mist?«
»Man vergisst alle Menschen, die man kennt, die engsten Verwandten eingeschlossen. Dabei werden, wenn man das so ausdrücken kann, die zerebralen Bilder sämtlicher sozialen Bindungen zerstört. Außerdem kann der Mensch sich in Bezug auf sich selbst an nichts Konkretes erinnern. Allgemeine Kenntnisse hingegen, geistige Funktionen, Angewohnheiten und Fertigkeiten bleiben erhalten. Zu Anfang ist sich der Mensch dieser Veränderungen nicht einmal bewusst. Er begreift nicht, dass er alles vergessen hat – das erkennt er erst später. Doch die Hauptsache ist etwas anderes. In den ersten fünf Minuten nach dem Gedächtnisverlust ist er für jede beliebige Manipulation empfänglich. Er wird sozusagen ein leeres Blatt Papier, das man mit allem Möglichen beschreiben kann – und das Geschriebene bleibt für immer stehen. Die Deutschen wollten diese Substanz im Kriegsfall einsetzen, um Kriegsgefangene umzudrehen und als Selbstmordattentäter einzusetzen.«
»Verstehe«, sagte T. »Und Sie …«
»Ja.« Olsufjew nickte. »Knopf schrieb, bildlich gesprochen, auf dieses leere Blatt die Worte ›Optina Pustyn‹ und im Weiteren bestand seine Aufgabe darin, Ihre Fortschritte zu verfolgen und von Zeit zu Zeit Pobedonoszews Agenten zu verscheuchen.«
»Aber warum haben Knopfs Leute ständig auf mich geschossen?«
»Knopf war als Einziger eingeweiht in den Plan«, erwiderte Olsufjew. »Er selbst hat aber nie ernsthaft versucht, Ihnen Schaden zuzufügen. Die übrigen Detektive dachten wirklich, ihre Aufgabe bestehe darin, Sie aufzuhalten. Aber sie stellten keine reale Gefahr für Sie dar.«
»Ach so! Sie meinen also, einer Kugel auszuweichen ist bloße Gymnastik … Warum hat dann Knopf vor seinem Tod versucht, mich nach Jasnaja Poljana zurückzuschicken?«
»Er wollte Ihre fatale Begegnung mit Pobedonoszews Agenten abwenden – ihm fehlte nur eine Minute! Aber wenn Sie auf ihn gehört hätten und nach Jasnaja Poljana zurückgekehrt wären, wären Sie dort auch nicht lange geblieben, glauben Sie mir. Für den Fall wäre ein anderer Agent von uns
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