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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Einzelaspekt der Erzählung zuständig ist. Anschließend werden die Teile zusammengefügt und von einem Lektor frisiert, damit es nicht zu uneinheitlich wirkt. Man bastelt einen Drachen, ha-ha.«
    »Erlauben Sie mal«, sagte T., »wollen Sie etwa behaupten, dass ich ebenfalls nach diesem Schema gemacht bin?«
    »Leider, Graf«, erwiderte Ariel, »leider ist das so.«
    »Das heißt, ich bin nicht einmal Ihr Geschöpf, sondern nur ein zusammengesetzter Hecht?«
    »Sagen wir es so – ich bin Ihr Ober-Schöpfer. Der Koch, der die Teile des Hechts zusammenfügt. Ich gebe die allgemeine Kontur vor, ich entscheide, was bleibt und was wegfällt. Einiges denke ich mir auch selbst aus. Aber der größte Teil des Textes wird von anderen verfasst.«
    »Also haben sich Ihre Marketender ausgedacht, dass ich Axinja … na ja … Und das mit dem Beil auch?«
    Ariel machte eine dezente Kopfbewegung, in der aber durchaus ein zustimmendes Nicken zu erkennen war.
    »Sie können sich damit trösten«, sagte er, »dass kein lebendiger Mensch sich auch nur ein Jota von Ihnen unterscheidet. Wie mein Großvater immer sagte – die Seele ist eine Bühne, und auf dieser Bühne spielen zweiundzwanzig Mächte, sieben Sephiroth und drei … drei … ach, zum Teufel, das habe ich vergessen. Na, macht nichts. Jeder Mensch wird zu jeder Sekunde seines Lebens durch das zeitweilige Gleichgewicht der Mächte erschaffen. Wenn diese uralten Kräfte auf die Bühne kommen und ihre Rollen spielen, kommt es dem Menschen vor, als würde er von Leidenschaften gepackt oder von Phobien gequält, als wäre er erleuchtet oder mit Faulheit geschlagen und so weiter. Es ist wie bei einem Schiff, auf dem Geistermatrosen miteinander kämpfen. Die gleichen Matrosen fahren auf allen anderen Schiffen der Welt, daher sind alle Geisterschiffe einander so ähnlich. Der Unterschied besteht nur darin, wie sich die Prügelei um das Lenkrad entwickelt.«
    »Wohin fahren denn diese Schiffe?«, fragte T.
    »Sie gehen viel zu schnell unter, als dass sie irgendwohin fahren könnten. Und das Ufer ist viel zu weit weg. Ganz zu schweigen davon, dass sie meistens im Kreis fahren und das Ufer und das Meer in Wahrheit Trugbilder sind.«
    »Das ist ja tröstlich. In einem Menschen steckt also nichts weiter als so ein Matrose?«
    »Nichts weiter«, bestätigte Ariel. »Also regen Sie sich nicht auf. Sie sind nicht der einzige zusammengesetzte Hecht. Keiner von uns hat nur einen einzigen Autor.«
    »Ich wollte deswegen mit der verstorbenen Fürstin keinen Streit anfangen«, sagte T., »aber gemeinhin nimmt man an, dass die Menschen einen solchen Autor haben. Das ist Gott.«
    »Gott ist nur der Markenname auf dem Umschlag«, schmunzelte Ariel. »Eine gut beworbene Marke. Aber den Text schreiben sämtliche Teufel ringsum, jeder, der Lust dazu hat. Und dann versucht dieser Text, von dem völlig unklar ist, wer ihn geschrieben hat, selbst etwas zu schaffen, sich selbst etwas auszudenken – das ist doch kaum zu begreifen. Mein Großvater hat immer gesagt, der Mensch ist ein so geisterhaftes Wesen, dass es doppelt sündig ist, noch mehr Geister in die Welt zu setzen …«
    »Also sind Sie nicht der einzige Demiurg, sondern nur ein Arbeiter dieser Höllenfabrik?«
    Ariel nickte bekümmert.
    »Gibt es da noch viele Leute?«
    »Ziemlich«, sagte Ariel. »Mit mir sind wir fünf. Die fünf Elemente, ha-ha.«
    »Nennen Sie sie.«
    »Von mir habe ich schon erzählt. Der zweite ist Mitjenka Berschadski. Er ist zuständig für Erotik, Glamour und den gewaltlosen Widerstand gegen das Böse. Noch jung, aber schon recht bekannt. Der aufgehende Stern eines untergehenden Genres. Ein Titan der kleinen Anti-Glamour-Form.«
    T. überlegte.
    »Wenn er für den Glamour verantwortlich ist«, fragte er, »warum ist er dann ein Titan der Anti-Glamour-Form?«
    »Weil das ein und dasselbe ist. In Russland ist Anti-Glamour-Prosa die wichtigste Spielart von Glamour-Journalismus.«
    »Aber was ist das überhaupt?«, fragte T.
    »Ausführlich erzählen. Herunterreißen jeglicher Masken, 22 Höschen und Kreuze. Ein vielgefragter Mann, ein kluger Kopf, nimmt achtzig Dollar und mehr pro Spalte.«
    »Und warum ist er zuständig für den gewaltlosen Widerstand gegen das Böse?«
    »Er war früher Polittechnologe.«
    »Ein Idiot ist er, euer kluger Kopf«, beschwerte sich T. »Immer dieses ›Achtung, Achtung‹ …«
    »So sind eben unsere Polittechnologen.«
    »Schon gut, es reicht, ich begreife das sowieso nicht. Wer ist der

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