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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einen in Versuchung führt. Vielleicht muss man jemand anderem eines abhacken …«
    Mit diesen Worten hob das Pferd sein Maul zum Himmel und stieß ein schrilles Wiehern aus, woraufhin der Wagen einen Satz machte und T. beinahe die Zügel aus den Händen gleiten ließ.
    Um sie herum flirrten wieder diese eigenartigen, regenbogenfarbenen Schatten.
    »In unserem Fall ist alles ganz einfach«, fuhr das Pferd fort und wandte T. sein arrogantes Profil zu. »Deshalb würde ich Ihnen raten, es mit der Methode der Skopzen zu versuchen. Es gibt zwei Varianten. Vervollkommnung mit dem kleinen Siegel, wie ich von Anfang an vorgeschlagen habe. Fürs Erste reicht es, die Hoden abzutrennen. In einem Monat ist alles verheilt. Oder sofort das große Siegel. Sie verstehen schon. Wenn Sie kein Feigling sind, handeln Sie unverzüglich. Danach suchen wir einen Jakimez.«
    »Was bitte?«
    »Einen Jakimez«, wiederholte das Pferd. »So nennen die Skopzen den Radnagel aus Blei, den sie sich in das Loch stecken. Nachdem Sie den Teufel in sich getötet haben, dürfen Sie den Jakimez zwei Monate lang nicht herausnehmen. Bis alles verheilt ist.«
    T. spuckte angewidert aus.
    »Testikel, Jakimez«, murmelte er stirnrunzelnd. »Was für Abscheulichkeiten die sich ausdenken. Ich verstehe überhaupt nichts …«
    »Nachher erkläre ich Ihnen alles ganz genau, keine Sorge. Dann haben wir mehr als genug Zeit. Aber jetzt dürfen wir nicht zögern, es ist genau der richtige Moment, das Herz ist fest entschlossen und weit und breit kein Mensch! Zögern Sie nicht, Graf. Diese Gelegenheit ergibt sich vielleicht nicht so schnell wieder!«
    Das Pferd blieb stehen und fixierte T. mit brennenden, hypnotischen Augen. T. kletterte vom Wagen herunter, packte das Beil und legte zaghaft die Hand auf die Schnalle seines Hosengurts … In dem Moment läutete es in der Ferne zum Abendgottesdienst und er kam zu sich.
    »Am Ende kommt es tatsächlich noch zur Selbstverstümmelung«, dachte er und biss sich heftig auf die Lippen, bis sie bluteten.
    Die regenbogenfarbenen Schatten waren verschwunden. Er erkannte, dass er mit einem Beil in der Hand vor dem Wagen auf der leeren abendlichen Landstraße stand – tatsächlich hatte er auch einen Augenblick zuvor schon hier gestanden, aber erst jetzt war er ganz und gar in der Gegenwart angekommen. T. blickte zu dem Pferd hinüber. Es versuchte, mit seiner ganzen Haltung zu zeigen, dass es mit alldem nichts zu tun hatte. T. biss sich erneut auf die Lippen und ihm wurde klar, dass das Pferd überhaupt nichts zu zeigen versuchte, sondern einfach nur das Maul nach einem Grasbüschel reckte.
    T. ging zu dem Pferd, legte ihm die Hand auf den Hals und sagte ihm leise, fast zärtlich ins Ohr:
    »Hör mir gut zu, Frou-Frou, oder wie auch immer du heißen magst. Wenn du heute noch ein Mal, hörst du, noch ein einziges Mal dein Maul aufreißt und etwas in der Sprache der Menschen sagst, dann werde ich dich ausspannen, aufsitzen und Galopp reiten. Und antreiben werde ich dich mit dem Beil. Los jetzt, in die Stadt, zum Hotel Dworjanskaja.«
    Das Pferd zuckte nervös mit dem Kopf, schwieg aber zu seinem Glück still.
    T. kletterte auf den Wagen und zog dem Pferd mit der Peitsche kräftig eins über die Kruppe. Es setzte sich in Bewegung. Den ganzen restlichen Weg über schwieg es, nur hin und wieder schielte es mit verborgenem Feuer in den Augen auf T., als wollte es an etwas Wichtiges erinnern. Jedes Mal spannte T. sich innerlich an und rechnete damit, dass es anfangen werde zu sprechen, doch das Pferd wandte sich immer wieder ab und trottete weiter, wobei es verächtlich und gleichgültig mit dem Schwanz schlug – als hätte es die Hoffnung, dass dem Passagier in spiritueller Hinsicht noch zu helfen sei, endgültig aufgegeben.
    Als T. im Hotel ankam, war es bereits dunkel. Er betrat sein Zimmer, zündete die Lampe an, setzte sich in den Sessel vor dem Kamin und flüsterte:
    »Warten wir also auf die Begegnung.«
    »Warum denn warten«, erklang eine schmeichlerische Stimme von der Wand. »Ich bin schon da. Guten Abend, Graf.«
    T. hob den Kopf. Von seinem Porträt herunter blickte der stupsnasige Imperator Paul ihn huldvoll an. Sein Mund rundete sich zu einem Gähnen und seine gemalte Hand glitt über das Bild und bedeckte dezent den Mund.

IX
    »Wie können Sie nur?«, fragte T. empört. »Was soll das? Wollen Sie mich demütigen? Zertreten? Dann bringen Sie mich besser gleich um. Das dürfte Ihnen nicht schwerfallen, nehme ich

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