Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
ich bitte wissen, welche Bewegungen Sie verdächtig finden? Das hängt ganz von Ihrer Erziehung ab, von Ihrer sozialen Herkunft und Ihren Lebensumständen.«
    »Wir schießen Sie ab wie ein Rebhuhn«, sagte der mit den abstehenden Ohren drohend. »Versuchen Sie es erst gar nicht.«
    »Ich bin unbewaffnet und stelle keine Gefahr dar«, erwiderte T. »Die Gefahr ist in euch selbst, wie die chinesischen Weisen sagen.«
    T. ging bedeutend langsamer rückwärts, als die Detektive auf ihn zukamen, und es war klar, dass er nicht entkommen würde. Doch das verächtliche Lächeln auf seinem Gesicht machte sie offenbar nervös. Die karierten Herren beschleunigten den Schritt resolut.
    »Hört nicht auf ihn!«, sagte Knopf. »Es fehlte nur noch … Stopp! Zurück!!«
    Doch es war schon zu spät – der mit den abstehenden Ohren stieß mit dem Fuß an die quer über die Straße gespannte Schnur.
    Im Fenster der Ziegelbaracke blitzte und krachte es und ein Schwall Schrot fegte die beiden Detektive hinweg. Der Schlag war von solcher Wucht, dass er die beiden vom Boden hochriss, bevor er sie auf die Straße schleuderte wie zwei Kegel, die von der unsichtbaren Kugel des Schicksals getroffen werden. Der Detektiv mit den abstehenden Ohren war augenblicklich tot; dem zweiten wurde der linke Arm ausgerenkt, aber er lebte noch, als er in den blutgetränkten Staub stürzte.
    T. drehte sich zu Knopf um. Der hob die leeren Hände und spreizte sogar die zitternden Finger.
    »Eine Reservepistole habe ich nicht«, sagte er. »Jedenfalls erschrecken Sie mich immer wieder, Graf. Qui pro quo. So oder so.«
    »Wissen Sie«, sagte T., »dasselbe hat erst kürzlich ein Pferd zu mir gesagt. Das Ihnen allerdings, genau genommen, brüderlich verwandt ist, daher ist das nicht weiter erstaunlich. Aber das Pferd hat diesen Ausdruck anders übersetzt.«
    »Ein Pferd?«, fragte Knopf mit geheuchelter Verwunderung und trat ein Stück zur Seite. »Na so was … Es ist erstaunlich, Graf, dass ein Pferd überhaupt noch mit Ihnen redet. Der Umgang mit Ihnen ist für Pferde gewöhnlich fatal.«
    »Lügen Sie nicht, Knopf, nicht der Umgang mit mir, sondern mit Ihnen. Zudem ist der Umgang mit Ihnen meistens auch für Menschen fatal …«
    Knopf stand mittlerweile so, dass T. dessen beide am Boden liegenden Kompagnons im Rücken hatte. T. bemerkte es und grinste. Er zog den Strohhut vom Kopf und warf ihn, ohne sich umzudrehen, nach hinten. Der Hut segelte rauschend über die Straße, und die in der doppelten Krempe verborgene Stahlscheibe bohrte sich in den Hals des Detektivs mit den Koteletten, der auf den Ellbogen gestützt mit letzter Kraft aus seiner Derringer auf T. zielte. Einen Augenblick bevor die Klinge die Halsschlagader durchtrennte, schrie T.:
    »Achtung!«
    »Wahrhaftig, einen Pharisäer wie Sie hat die Welt noch nicht gesehen!«, rief Knopf aus. »Warum beharren Sie auf dieser idiotischen Konvention? Wem wollen Sie damit etwas vormachen? Oder gefallen Sie sich einfach in der Illusion, ein aufrichtiger Anhänger der Gewaltlosigkeit zu sein?«
    »Wieso meinen Sie, das sei eine Illusion?«, ließ sich T. vernehmen. »Sehen Sie nicht, wie viel Anstrengungen und Risiko ich auf mich nehme, um mich anständig zu verhalten? Oder glauben Sie vielleicht, jeder ist so zynisch und gleichgültig gegenüber fremdem Schmerz wie Sie?«
    Knopf schüttelte den Kopf.
    »Was für ein Heuchler Sie sind! Aber gut, heute werde ich Sie entlarven. Ich habe nämlich eine besondere Attraktion für Sie. Lojko!«
    Niemand antwortete. Knopf legte die Hände um den Mund und schrie noch einmal:
    »Lojko!!«
    T. hörte ein Lachen hinter sich und drehte sich um.
    Quer über das Feld kam ein kahlgeschorener Hüne mit plattgedrückter Nase auf ihn zu – derselbe, der schon im Zigeunerlager mit ihm hatte kämpfen wollen. Er war nackt bis zum Gürtel und trug wieder die grüne Pluderhose, die er in seine weichen Tatarenstiefel gesteckt hatte.
    »Ich habe ja gesagt, dass wir uns wiedersehen, Bart«, sagte der Zigeuner. »Jetzt hat die Stunde geschlagen.«
    T. lächelte.
    »Soweit ich mich erinnere«, erwiderte er, »benutzen Sie einen Sandchronometer und der kann nicht schlagen. Allerdings könnten die Dekadenzler das als eine Art paradoxe Metapher verwenden. Der Schlag der Sanduhr ist die Stille. Daher schlägt sie fortwährend die Ewigkeit …«
    »Quatsch nicht so viel«, unterbrach ihn der Zigeuner. »Letztes Mal hast du uns für dumm verkauft, aber daraus wird heute nichts. Wir

Weitere Kostenlose Bücher