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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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teuflischen Rollen spielen müssen. Ich wollte schon lange mit Ihnen reden.«
    »Und worüber?«
    »Ich will Ihnen erzählen, was ich über die Gründe unserer … nun ja … Feindschaft erfahren habe. Sehen Sie die Bank da drüben neben der Baracke? Kommen Sie, wir stecken die Revolver weg und unterhalten uns.«

XI
    Während T. redete, musterte Knopf stirnrunzelnd und vor sich hinflüsternd seine roten Schuhe mit der abgerundeten Spitze, als überlegte er, ob es nicht Zeit sei, sie zur Reparatur zu bringen. Aber er hörte aufmerksam zu – als T. verstummte, sagte er sogleich:
    »Also fassen wir mal zusammen. Sie und ich werden von einem Dämon namens Ariel erschaffen, der Schöpfer und Herrscher dieser Welt ist, stimmt’s?«
    »Er hält sich nicht für einen Dämon«, erwiderte T. »Er bezeichnet sich als wahren Menschen. Und er erschafft uns nicht allein, sondern zusammen mit einer ganzen Bande von Wesen, wie er selbst eines ist. Aber Sie haben recht, für Sie und mich ist er natürlich ein Dämon. Oder eher ein Gott, aber kein guter, sondern ein ziemlich böser, beschränkter Gott.«
    »Und Sie stehen in ständigem Kontakt mit diesem Dämon?«
    »Nicht gerade ständig«, sagte T. »Er bestimmt selbst, wann und in welcher Gestalt er erscheint. Aber wir tauschen uns häufig aus.«
    »Und dieser Dämon hat über mich gesagt, ich sei ebenfalls seine Schöpfung, aber im Vergleich zu Ihnen nur sozusagen zweiter Güte und episodisch?«
    »Ja, im Großen und Ganzen ist das richtig«, stimmte T. zu. »Aber seien Sie nicht beleidigt. Bei uns beiden wäre es absurd, von einer Überlegenheit zu sprechen. Wir sind nur Ausgeburten einer fremden Fantasie, Produkte unterschiedlicher Köpfe, deren Gedanken uns abwechselnd erfinden …«
    T. wies irgendwo in die Ferne.
    »Aha«, sagte Knopf. »Verstehe. Verfolgen diese Köpfe damit ein künstlerisches Ziel?«
    »Ja«, erwiderte T. »Obwohl sie gleichzeitig den künstlerischen Wert ihres Produkts stark in Zweifel ziehen. Soweit ich begriffen habe, hat ihr Ziel mehr mit kommerzieller Viehzucht als mit Kunst zu tun.«
    Knopf trommelte mit den Fingern auf die Bank.
    »Sagen Sie, haben diese Dämonen Ihnen auch erzählt, warum Sie sich auf dem Weg nach Optina Pustyn befinden?«, fragte er. »Und warum das auf so erbitterten Widerstand stößt?«
    »Sicher«, sagte T. »Ich muss nach Optina Pustyn, um Buße zu tun und mich mit der Kirche zu versöhnen. Die Dämonen brauchen das für ihre Handlungsstrategie, die ich aber selbst nicht richtig durchschaue.«
    »Und wie hat man Ihnen meine Rolle erklärt?«
    »Sie intrigieren gegen mich, damit es spannender ist.«
    »Damit es spannender ist«, wiederholte Knopf. »Die besten Agenten der Geheimpolizei sterben wie die Fliegen, damit es spannender ist … Das ist alles?«
    T. nickte.
    Irgendwo jenseits des Flusses ertönten drei laute Glockenschläge. Der Klang war melancholisch und irgendwie fragend.
    Knopf war aufgestanden und ging vor der Bank auf und ab – offenbar war sein Herz übervoll.
    »Sagen Sie«, fragte er. »Hat Ihnen Ihr Ariel jemals etwas über den Obelisken von Echnaton erzählt?«
    »Nein«, antwortete T.
    »Und über den Hermaphroditen mit dem Katzenkopf?«
    »Auch nicht. Was ist das?«
    »Wissen Sie«, sagte Knopf, »wie die meisten Detektive bin ich überzeugter Materialist und Atheist. Aber nach dem, was Sie mir erzählt haben, bin ich bereit, an die Existenz einer übernatürlichen Welt zu glauben. Könnte es sein, dass Sie tatsächlich von Geistern des Bösen protegiert und gelenkt werden, wie einige Petersburger Würdenträger meinen?«
    »Ich?« T. machte große Augen. »Geister des Bösen? Sind Sie noch bei Verstand?«
    »Na schön«, sagte Knopf. »Möchten Sie nicht vielleicht einmal meine Version der Geschichte hören?«
    »Da bin ich gespannt.«
    Knopf setzte sich auf die Bank.
    »Im Jahre achtzehnhunderteinundsechzig«, begann er, »ja, ja, Graf, genau in dem Jahr, als die Leibeigenen befreit wurden, fand man in Ägypten nahe dem alten Theben ein merkwürdiges Grab. Anfangs glaubten die Archäologen, es handele sich um die Grabstätte eines Priesters oder vielleicht auch eines Pharaos, weil die Pharaonen nicht selten heimlich bestattet wurden – aber stellen Sie sich die Verblüffung der Grabungsarbeiter vor, als sie in dem gewaltigen Sarkophag der Grabkammer einen in Einzelteile zerschlagenen Obelisken fanden. Die Bruchstücke waren mit Bitumenöl eingerieben und mit Leinwandbinden eingewickelt wie eine

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