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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Vernachlässigung.
    Während er auf das Bootshaus zuritt, verlangsamte T. das Tempo – und nur deshalb gelang es ihm, rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Quer über die Straße spannte sich eine dünne graue Schnur, die vor dem Boden fast nicht zu sehen war. Sie verschwand im Holunderdickicht unter der schwarzen Fensterhöhle in der Mauer der Baracke. T. zügelte das Pferd und ritt ein paar Schritte zurück, als überlege er, ob er geradeaus weiterreiten sollte oder hinunter zum Fluss.
    »Natürlich!«, dachte er. »Im Fenster ist wahrscheinlich ein Gewehr und die Leine ist direkt mit dem Abzug verbunden. Das System ›Wanderer, bleib stehen‹ – kennen wir doch … Und Knopf hockt irgendwo in der Nähe und beobachtet mich. Er kann mich sehen, aber ich ihn nicht, das ist schlecht.«
    T. straffte immer wieder die Zügel, so dass das Pferd nervös auf der Stelle tänzelte, damit man ihn schwerer aufs Korn nehmen konnte. Gleichzeitig zog er unmerklich den rechten Fuß aus dem Steigbügel und verlagerte das Gewicht seines Körpers auf den linken Fuß.
    »Meine Herren!«, rief er. »Ich merke doch, dass Sie hier sind! Ich schlage vor, wir besprechen das Weitere! Herr Knopf, glauben Sie mir, wir beide haben keinen Grund zur Feindschaft!«
    In den Holunderbüschen gab es eine kaum merkliche Bewegung. Augenblicklich warf T. das rechte Bein über den Sattel und krümmte sich so, dass die Flanke des Pferdes ihn verdeckte. In der nächsten Sekunde fauchten blaue Rauchfontänen aus den Büschen und eine Gewehrsalve donnerte. Sie schossen aus doppelläufigen Gewehren, mit Schrot: Eine der Kugeln schrammte T.s Hand. Das Pferd wich zurück, knickte auf die gespreizten Hinterbeine und stürzte schwerfällig in den Staub.
    »Das zweite in zwei Tagen«, dachte T., und kalter Zorn wallte in ihm auf. »Was sind das für Schurken …«
    Er legte sich hinter dem gefallenen Pferd flach auf den Boden. Wieder dröhnte ein Schuss und eine neue Portion Schrot klatschte mit einem widerlichen schmatzenden Geräusch in den Pferdebauch.
    »Meine Herren!«, schrie T. »Ich mahne nochmals zum Aufhören!«
    Zur Antwort dröhnten Revolverschüsse aus dem Gebüsch.
    »Ausgezeichnet!«, dachte T. »Das heißt, sie haben die Gewehre nicht nachgeladen. Jetzt nicht zaudern …«
    Er zog ein paar Wurfmesser unter dem Hemd hervor und fächerte sie in der Hand auf.
    »Meine Herren!«, schrie er. »Ich erinnere Sie daran, ich bin gegen Gewalt! Ich will niemandem etwas Böses! Ich sehe nur Sträucher, ich wiederhole, nur Sträucher! Ich werfe jetzt Messer in die Sträucher! Die Messer sind sehr scharf, wenn sich also jemand in den Sträuchern versteckt, soll er bitte bis drei herauskommen, damit ich niemanden verletze! Eins! Zwei!«
    T. zwang sich, eine kurze Pause zu machen.
    »Drei!«
    Damit richtete er sich leicht auf und begann, die Messer zu werfen, wobei er sich nach jedem Wurf ein Stück drehte. Das vierte Messer traf jemanden, wie an einem schmerzerfüllten Schrei zu erkennen war. Voller Selbstverachtung verzog T. das Gesicht und warf zwei weitere Messer in diese Richtung, und der Schrei ging in ein Röcheln über.
    Aus den Sträuchern wurde wieder geschossen und T. verkroch sich hinter dem Pferd. Sobald der Beschuss aufhörte, warf er wieder einige Messer. Dieses Mal traf er gleich zwei. Nach jedem Schmerzensschrei schleuderte er zwei weitere scharfe Messer in die Richtung.
    Wieder knallten die Revolver aus dem Gebüsch, aber die Schüsse wurden seltener. T. folgerte daraus, dass noch drei übrig waren.
    »Meine Herren!«, schrie er. »Ich schlage jetzt zum letzten Mal vor, dass wir Schluss machen! Genug gelitten und geblutet!«
    »Heuchler!«, schrie Knopf zur Antwort.
    T. zog einen weiteren kalten Stahlfisch aus der Tasche, legte ihn auf die Handfläche und schleuderte ihn in Richtung der Stimme. Knopf heulte auf.
    »Schuft! Sie haben mir die Wade durchbohrt! Das werden Sie mir büßen!«
    »Ich sage es noch einmal«, antwortete T., »es wäre vernünftiger, wenn Sie aus dem Gebüsch herauskämen!«
    »Wenn wir herauskommen«, erklang die Stimme des einen von Knopfs Gehilfen, »garantieren Sie dann für unsere Sicherheit?«
    »Verräter! Feiglinge!«, zischte Knopf.
    Zur Antwort erklangen derbe Schimpfworte.
    »Ich werde Ihnen nichts tun!«, rief T.
    »Versprochen?«
    »Versprochen. Ich tue sowieso niemandem etwas. Wenigstens versuche ich es … Die Menschen fügen sich in ihrer Unvernunft selbst Schaden zu.«
    »Solange Sie noch Messer haben,

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