Tolstois Albtraum - Roman
Axt niederzumetzeln. Zutiefst enttäuscht vom einfachen Leben floh sie schließlich nach Petersburg und kehrte zum mondänen Leben zurück …«
Dostojewski drückte mit seiner ganzen Haltung höchsten Widerwillen gegenüber diesem Thema aus, saß wie versteinert da und starrte aus dem Fenster, als blickte er in die Ewigkeit. Pobedonoszew trat zu ihm, fasste ihn sacht um die Schultern, nötigte ihn mit einiger Mühe zum Aufstehen und zog ihn mit sich zum Fenster, als wollte er ihn aus der Gefahrenzone von Nikodims giftigen Worten entfernen.
»… wo sie eine Affäre mit Olsufjew begann«, fuhr Nikodim fort. »Sie haben natürlich von ihm gehört. Er ist ein Gardist, als Detektiv ein Genie. Daher auch der Titel ihres zweiten Buches. Wenn man der Boulevardpresse glaubt – aber wie gesagt, das tut niemand –, hatte T. Angst, dass die Sache an die große Glocke gehängt würde, und verschwand mit unbekanntem Ziel. Die besten Detektive des Reiches und Sanitäter mit Zwangsjacke wurden zu seiner Verfolgung aufgeboten, aber er ist sehr schlau und wechselt häufig seine Verkleidung – bald tritt er als Gendarm auf, dann als Bauer oder als Zigeuner. Nach den Worten der Frau Tolstaja-Olsufjewa ist er durch die Betäubungsmittel dermaßen verrückt geworden, dass er mit Pferden spricht und die Leute um ihn herum für weiß der Teufel was hält. Und dann schreiben sie noch, dass er Gedächtnislücken hat und eine originelle Geistesstörung – er glaubt, dass er sich mit Gott unterhalten kann. Das heißt, wer spricht heutzutage nicht alles mit Gott, aber T. ist vollständig überzeugt, dass Gott ihm antwortet. Und in den schlimmsten Boulevardblättern hieß es sogar, T. hätte die Detektive, die ihm auf den Fersen waren, umgebracht oder ihnen ein tropisches Gift verabreicht …«
Gegen Ende dieser Tirade zog Nikodim eine Miene, als täte ihm etwas weh und als wäre es ihm peinlich, die eigene Erzählung anzuhören. Er verstummte. Auch T. saß schweigend da. Dann fasste er sich ein Herz und sagte:
»Ich kannte tatsächlich ein Bauernmädchen mit Namen Axinja, da gibt es nichts zu leugnen … Aber sie hätte so etwas kaum schreiben können, sie kennt solche Worte nicht einmal. Glauben Sie mir, es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einer Studentin, die sich dem einfachen Leben zugewandt hat, und einem Mädchen aus dem Volk.«
Nikodim schmunzelte und klopfte T. vertraulich aufs Knie.
»Darüber schreibt sie auch!«, verkündete er begeistert. »Bestimmt auch gelogen, was? Sie behauptet, bevor sie Sie an dem Heuwagen angesprochen hat, hätte sie extra zwei Monate lang den Bauerndialekt gelernt, sich nicht mehr gewaschen und unter den Achseln nicht mehr rasiert, verzeihen Sie die pikanten Details … Der zentrale Gedanke ihres Buches – obwohl, Gedanke kann man nicht sagen, Gedanken gibt es da keine –, also der sales pitch , um dessentwillen die jungen Mädchen das Buch lesen, ist, dass den blasierten, lasterhaften Aristokraten nicht Auserlesenheit und Raffinesse stimulieren, sondern im Gegenteil höchste Vulgarität und Ungeschliffenheit, natürlich in Verbindung mit einem gewissen körperlichen Reiz. Deshalb ist es bei den Mänaden der Hauptstadt jetzt Mode, mit Sarafan, Schürze und dreckigen Fingernägeln herumzulaufen … Mon Dieu , wie sie alle stöhnen unter diesem einfachen Leben! Sie erstaunen mich, Graf – Sie sind im Zentrum des Hurrikans, einer richtigen Modeströmung, und bewahren eine beachtliche Gleichmütigkeit! Bravo, bravo!«
T. gab keine Antwort. Nikodim goss sich Wodka ein, prostete ihm zu, kippte das Glas hinunter und grunzte.
Unterdessen hatte Pobedonoszew Dostojewski auf den Schemel am Fenster gesetzt, strich ihm über den Arm und sagte ihm ein paar freundliche Worte ins Ohr. Er sprach leise, aber T. konnte trotzdem vieles verstehen:
»Deine Seele lebt, Fedjenka, sie trauert nur. Das alles wird dir als Heldentat angerechnet. Wenn du nur betest, geht auch die Gelbsucht vorbei … Sie lebt, sie lebt, glaub nur nicht …«
Er klopfte Dostojewski ermutigend auf die Schulter und kehrte zum Tisch zurück.
»So weit ist es gekommen«, sagte Nikodim mit einem Blick auf die anderen Mönche. »Die Zeitungen behaupten, Graf T. würde jetzt von der Geheimpolizei gesucht – obwohl bisher keine offizielle Anklage gegen ihn erhoben wurde.«
»Lassen wir das«, sagte Pobedonoszew stirnrunzelnd. »In meinem Haus werden keine Zeitungsenten erörtert. Hier wird über geistige und religiöse Fragen
Weitere Kostenlose Bücher