Tolstois Albtraum - Roman
Michailowitsch, Sie trinken ja gar nicht. Warum das?«
»Ich bin nervös, Konstantin Petrowitsch«, versetzte Dostojewski. »Ich muss etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.«
»Gleich«, sagte Pobedonoszew. »Ich will nur erst die Tür aufmachen …«
Kaum hatte Pobedonoszew den Salon verlassen, vollzog sich wieder die gleiche Veränderung mit Dostojewski wie schon beim ersten Mal – er rührte sich nicht mehr und hatte den Blick feierlich in die Weite gerichtet, als wäre niemand sonst im Raum.
»Offenbar«, überlegte T. wehmütig, »bin ich für ihn nur eine verlorene Seele, ein Irrgläubiger … Aber es ist auch dieser Ort, der so wirkt, und Pobedonoszews Einfluss auf ihn …«
Die Tür ging auf und T. erstarrte.
Drei Mönche betraten den Raum. Der eine hatte eine voluminöse Leinentasche geschultert, die auf der Seite mit einem Kreuz aus Glasperlen bestickt war – haargenau die gleiche Tasche, wie sie einer der Gefährten des verstorbenen Warsonofi dabeigehabt hatte.
Aus dem Korridor war ein klägliches Miauen zu hören, dann erschien Pobedonoszew im Salon und machte die Tür hinter sich fest zu.
»Meine Herren«, sagte er mit einem glücklichen Lächeln, »wir haben heute ungebetene Gäste, über die wir aber nichtsdestotrotz sehr froh sind …«
T. bemerkte, dass Pobedonoszew nicht ihn, sondern die Mönche ansah, und ahnte, dass der ungebetene Gast er selbst war.
»Darf ich vorstellen«, fuhr er fort. »Das sind die Brüder Nikodim, Ilarion und Sofroni – sie sind Mönche. Und das ist Herr T., er ist … ehem … ein Graf.«
»Ein vortrefflicher Beruf«, lächelte Bruder Nikodim.
»Das ist kein Beruf«, erwiderte T. und musterte die Mönche aufmerksam. »Das ist nur eine weltliche Bezeichnung.«
Ilarion und Sofroni waren anscheinend Zwillingsbrüder: Sie waren jung und düster, gleichsam niedergedrückt von der Last eines gemeinsamen schweren Gedankens, mit farblosen Bärtchen und eng beieinanderliegenden wässrigen Augen. Nikodim hingegen sah aus wie ein Hoffmann’scher Student – er hatte etwas Romantisches, Verwegenes, das auf eine Nacht voller Abenteuer und atemberaubenden Schneid schließen ließ.
Beim Anblick der Mönche lebte Dostojewski auf und lächelte. Sie aber beachteten ihn überhaupt nicht, als wäre er gar nicht da. Sie traten an den Tisch und setzten sich, Ilarion und Sofroni in einen Sessel und Nikodim an den Rand des Diwans, auf dem Dostojewski saß, neben den Sessel von T.
»Wir sprachen gerade über Herrn Solowjow«, sagte Pobedonoszew, als wolle er die Mönche auf den Stand der Dinge bringen. »Das ist ein Philosoph.«
»Ach, diese Philosophen.« Nikodim ging bereitwillig darauf ein. »Puschkin hat ihnen ordentlich eins auf den Deckel gegeben. ›Es gibt keine Bewegung, sprach ein weiser Mann mit Bart / Ein anderer schwieg still und begann vor ihm zu wichsen …‹ 60 Nur zwei Zeilen und man ist sofort über den ganzen Verein im Bilde.«
Am Tisch kehrte Schweigen ein. Nikodim war aus dem Konzept geraten und wollte die Peinlichkeit offenbar wiedergutmachen.
»Gestatten Sie«, sagte er an T. gewandt, »Sie sind doch dieser Graf T.?«
»Was bedeutet denn dieser ?«
»Na der, über den Axinja Tolstaja-Olsufjewa schreibt? Was halten Sie von ihren Büchern?«
T. gab keine Antwort, aber das Glas in seiner Hand zitterte und etwas Wodka spritzte auf den Tisch.
Nikodim setzte eine teilnahmsvolle Grimasse auf.
»Das ist bestimmt schrecklich deprimierend, nicht wahr? Diese Schundromane sind von der ersten bis zur letzten Zeile erlogen, das sieht man sofort. Darauf fällt natürlich niemand rein. Aber lesen tun sie alle, selbst Geistliche. Besonders widerlich ist diese dauernde Aufregung in den Zeitungen.«
»Und was steht da?«
»Sie lesen es nicht? Das nenne ich echten Aristokratismus, meine Hochachtung. Ich erzähle es Ihnen. Das war ein gewaltiger Skandal. Laut Axinja Tolstaja-Olsufjewa hat es sich folgendermaßen zugetragen: Während ihres Studiums am Smolny-Institut lernte sie Graf Tolstois Lehre vom einfachen bäuerlichen Leben kennen und schätzen, und nach Abschluss des Instituts machte sie sich diese Lehre so zu eigen, dass man sie nicht mehr von einer einfältigen Bäuerin unterscheiden konnte. Als sie den Grafen persönlich kennenlernte, eroberte sie damit sein Herz im Sturm. Doch der Graf zeigte sich ihr von einer unerwarteten, beängstigenden Seite. Er nahm ständig starke Betäubungsmittel, die ihn unberechenbar machten. Mehrmals versuchte er, sie mit einer
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