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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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er gedehnt und schob die Brille wieder an ihren Platz. »Ich fürchte, ich enttäusche Sie, aber nach einer neuen Irrlehre sieht das überhaupt nicht aus. So etwas in der Art habe ich auch schon von Herrn Solowjow gehört – Sie kennen ihn doch?«
    T. schüttelte den Kopf.
    »Nur dem Namen nach.«
    »Ein Dichter und Philosoph. Er bezeichnete seine Lehre als ›Geistreiches Nichtstun‹. Als Symbol dafür wählte er ein ›N‹ mit einer Tilde – offenbar aus einer unbewussten Liebe zum Katholizismus, ha-ha … Dieses Zeichen würde allerdings auch für Ihre Lehre vom Nichtwiderstand gegen das Böse passen, Graf. Hier an diesem Tisch hat er sein Drama gelesen, das hatte auch so einen merkwürdigen Titel, wie war das noch gleich … Versuchung des Cancan , glaube ich. Über einen Hesychasten, der als Eremit in der Wüste lebt.«
    »Was soll denn das, ein Theaterstück mit einem Einsiedler?«, fragte Dostojewski. »In der Wüste gibt es doch keine handelnden Personen?«
    »Da gibt es jede Menge«, erwiderte Pobedonoszew und nickte aus irgendeinem Grund zu T. hinüber. »In dem Stück kämpft der Eremit mit Dämonen, die in seinen Geist eindringen, und gelangt am Schluss zu der düsteren Erkenntnis, dass es in seinem Geist nichts als Dämonen gibt und dass der, der gegen Versuchungen und Leidenschaften ankämpft, genau so ein Dämon ist wie alle anderen, nur scheinheilig obendrein. Einer dieser Dämonen führt sogar Gott in Versuchung, nur so zum Spaß – und ein anderer stellt Gott dar. Vor lauter Kummer beschließt der Einsiedler, sich aufzuhängen. Aber in dem Moment, als der Schemel unter seinen Füßen wegkippt, erkennt er, dass diese seine letzte furchtbare Entscheidung genau so ein dämonischer Spuk ist wie alle vorherigen Geisteswürfe auch …«
    »Aha«, bemerkte Dostojewski. »Langsam begreife ich … Ich glaube, Solowjow nannte diesen Zustand ›geistig fehlgehen‹ und lehrte, dass es nur eine einzige Möglichkeit gibt, damit fertigzuwerden – man muss lernen, alle diese Dämonen von Angesicht zu unterscheiden.«
    »Davon rede ich ja gerade«, nickte T. »Nur darf man aus dem, was geschehen ist, keine Tragödie machen. Diese dauernd wechselnden Spukerscheinungen sind unsere einzige Natur. Jedenfalls bis in uns eine Kraft ersteht, die sich ihnen gegenüber behaupten kann.«
    »Und was für eine Kraft soll das sein?«, fragte Pobedonoszew. »Eine Art geistiges Wissen vielleicht? Das, was der hochwürdige Hesychios als ›Gedanken-Autokrator‹ bezeichnet hat?«
    »Nein«, erwiderte T. »Es ist alles viel einfacher. Man muss sich selbst erschaffen.«
    »Und wer soll das tun?«, fragte Pobedonoszew. »Wenn doch in uns nichts ist außer Spukerscheinungen?«
    »Das ist ja gerade das Paradox«, antwortete T. »Zu Anfang ist niemand in uns, der etwas tun könnte. Das neue Wesen entsteht gleichzeitig mit der Handlung, durch die es in Erscheinung tritt. Verstehen Sie? Diese Handlung hat keinerlei Grundlage, keinerlei Bedingtheit. Sie vollzieht sich aus eigenem Antrieb, vollkommen spontan, außerhalb der Gesetze von Ursache und Wirkung – und wird sich selbst zur Grundlage. Das ist wie die Geburt des Universums aus dem Nichts. Danach kann man sagen, dass wir uns selbst erschaffen. Dann sind wir dem Demiurgen unserer Welt gleichwertig.«
    »Und Sie, Graf, sind auch so ein gleichwertiger self-made man , nehme ich an?«, fragte Pobedonoszew.
    »Sehr scharfsinnig.«
    »Das ist nicht schwer zu erraten«, lächelte Pobedonoszew. »Aber was ist mit den Teufeln, die den Menschen vorher beherrscht haben? Was ist mit Ariel und seinen Gehilfen? Sie werden ihr Vieh doch nicht einfach so freilassen?«
    »Sie sind machtlos dagegen«, erwiderte T. mit leichtem Stirnrunzeln.
    »Ah ja«, ließ sich Pobedonoszew ironisch vernehmen. »Interessant, interessant …«
    »Sagen Sie, wo kann ich denn diesen Herrn Solowjow finden?«, fragte T. »Ich würde gerne mit ihm sprechen.«
    »Das dürfte schwierig werden«, antwortete Pobedonoszew mit einem freundlichen Blick auf T. »Die Sache ist die, Herr Solowjow wurde verhaftet und verbrecherischer Absichten gegen Allerhöchste Personen angeklagt. Er wird derzeit im Ravelin der Peter-Paul-Festung gefangen gehalten. Hin und wieder bringt man ihn zum Verhör an wechselnde Orte. Aber Ihnen, Graf, wird man wohl kaum gestatten, einem solchen Verhör beizuwohnen …«
    Im Korridor klingelte leise die Türglocke. Pobedonoszew maß T. mit einem Blick und wandte sich zu Dostojewski um:
    »Fjodor

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