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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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parliert …«
    Das ganze Gespräch wurde von ein paar geringfügigen, aber leicht bedrohlichen Details im Verhalten der Mönche begleitet. Jemand anderes hätte sie wohl kaum beachtet, für T. hingegen hatten sie eine furchtbare, unzweifelhafte Bedeutung – er konnte sich unmöglich täuschen.
    Ilarion saß im Sessel, hatte die mit Glasperlen bestickte Tasche auf den Knien und machte die ganze Zeit irgendwelche Handbewegungen darin, als würde er ein Tier streicheln, das es nicht abwarten konnte, in die Freiheit zu gelangen – und außerdem war T. sicher, das feine Klirren scharfer Kristallkanten zu hören.
    Sofroni hielt die rechte Hand in der Tasche seiner Kutte, und als er sich bewegte und der Stoff an der Hüfte spannte, konnte man einen länglichen Gegenstand erkennen – und das war bestimmt keine Ikone, sondern wahrscheinlich ein Revolver.
    Nikodim seinerseits tat nichts weiter, als T. von Zeit zu Zeit mit einem unendlich verständnisvollen Blick zu mustern, der sich schwerlich nur als schlichtes Mitgefühl wegen des Skandals mit Axinja deuten ließ.
    T. spürte, dass die Mönche nur auf ein Zeichen warteten. Als die zunehmende Spannung am Tisch unerträglich wurde, stand er plötzlich auf.
    Er ging zu dem Schemel, auf dem der inzwischen vollkommen in sich gekehrte Dostojewski saß, nahm ihn bei den Schultern, richtete ihn auf und führte ihn zurück zum Tisch. Dostojewski fügte sich schweigend und T. setzte ihn auf den Diwan zwischen sich selbst und Nikodim.
    »Kommen Sie, Fjodor Michailowitsch, wir wollen ein bisschen nebeneinandersitzen … Konstantin Petrowitsch hat uns ordentlich kritisiert, also soll er uns die Wahrheit erzählen.«
    Die Mönche waren merklich verwirrt. Nikodim musste ganz an den Rand des Diwans rücken, und zwischen den finsteren Zwillingen und T. befand sich nun der Tisch.
    Pobedonoszew räusperte sich bei T.s Worten.
    »Die Wahrheit, Graf? In der Kritik der unreinen Vernunft schreibe ich, dass man die Wahrheit nicht mit einem scharfen, skeptischen Verstand erfassen kann. Sie ist nur dem Glauben zugänglich. Der selige Augustinus hat das erkannt. Die heutigen gebildeten Herren hingegen meinen, die Wahrheit werde aus der Überlegung geboren. Können Sie sich das vorstellen, Brüder? Die Herrscher unserer Gedanken 61 halten den Syllogismus für den höchsten, absoluten Maßstab der Wahrheit!«
    Daraufhin klatschte er leise in die Hände.
    Das war offenbar das Zeichen, auf das die Mönche gewartet hatten.
    Sofroni runzelte die Augenbrauen und zog eine unanständig große Smith & Wesson aus der Kutte.
    »Wen?«, fragte er.
    »Den Syllogismus«, wiederholte Pobedonoszew hastig und tat so, als würde er nichts merken. »Sie kennen den Begriff aus der Logik. Man trifft zwei Aussagen und leitet daraus eine dritte ab. Und auf so einer dürftigen Konstruktion fußt das ganze Gebäude des modernen menschlichen Denkens, können Sie sich das vorstellen?«
    »Haben Sie etwas gegen die Prinzipien der Logik?«, lächelte T., ebenfalls ohne den Revolver in Sofronis Hand zu beachten.
    Pobedonoszew hob den Zeigefinger.
    »Alle modernen philosophischen Streitigkeiten sind eben deshalb so nichtig, Graf«, sagte er, »weil die streitenden Parteien die Wahrheit mit Hilfe dieser ihrer Logik beweisen. Dabei sind Syllogismen dummes Zeug.«
    »Wieso das denn?«, fragte T.
    »Dann bringen Sie ein Beispiel für einen sinnvollen Syllogismus.«
    Zu dem Zeitpunkt war das Gespräch eigentlich bereits völlig überflüssig geworden, weil Nikodim ebenfalls eine kleine vernickelte Pistole aus der Kutte gezogen und Ilarion ganz unverhohlen ein zusammengelegtes Netz aus der mit Glasperlen bestickten Tasche geholt hatte, in dessen Maschen Kristallklingen befestigt waren. Doch Pobedonoszew benahm sich, als ginge es am Tisch lediglich um die Diskussion um Syllogismen.
    »Bringen Sie ein Beispiel, Graf«, wiederholte er. »Na los.«
    T. lächelte und rückte näher zu Dostojewski.
    »Nun gut«, sagte er, während er seine Hand, die durch Dostojewski verdeckt war, in die Tasche schob. »Kai ist ein Mensch. Die Menschen sind sterblich. Deshalb muss Kai sterben. Kann man das bestreiten?«
    »Das braucht man gar nicht zu bestreiten«, erwiderte Pobedonoszew. »Das ist dummes Zeug, weiter nichts. Kai ist kein Mensch, sondern nur das Subjekt des Satzes. Er wurde nie geboren. Wie soll er sterben? Damit haben Sie selbst bewiesen, dass Syllogismen dummes Zeug sind.«
    In T.s Tasche klickte es leise.
    »Wo habe ich das bewiesen?«,

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