Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
alle möglichen Mittel einzureden gesucht hatte. Sie ihrerseits hatte ihm versichert, daß sie festen Glauben an seine Versprechungen habe, und hatte durch die feierlichsten Gelübde erklärt, daß es von dem Festhalten oder Brechen seiner Zusage abhänge, ob sie die glücklichste oder die elendeste unter allen Muttertöchtern werden sollte. Und der Urheber dieses äußersten Grades von Elend für ein menschliches Wesen zu werden, das war ein Gedanke, welchem einen Augenblick nur nachzuhängen ihm unerträglich war. Er betrachtete das arme Mädchen aus dem Gesichtspunkte, daß sie ihm alles, was in ihrem kleinen Vermögen stand, aufgeopfert, sich selbst auf ihre eigene Unkosten zum Gegenstande seines Vergnügens gemacht hatte, ja noch in eben diesem Augenblicke nach ihm schmachtete und seufzte. Soll denn also, sagte er, meine Genesung, welche sie so sehnlich wünscht, soll meine Gegenwart, welche sie so brünstig erwartet, anstatt ihr die Freude zu geben, mit welcher sie sich geschmeichelt hat, sie auf einmal in Elend und Verzweiflung hinabstürzen? Kann ich ein solch niederträchtiger Bösewicht sein? Wenn hier
Mollys
guter Geist zu siegen schien, so stürmte Sophiens Liebe zu ihm, welche jetzt nicht mehr zweifelhaft schien, von neuem auf sein Herz los und warf jedes ihr widerstehende Hindernis aus dem Wege. Endlich fiel es ihm ein, daß er vielleicht im stande sein könne, Molly auf andere Weise schadlos zu halten, wenn er ihr nämlich eine Summe Geldes gäbe. Uebrigens verzweifelte er fast daran, daß sie solche annehmen würde, wenn er sich der häufigen und feurigen Versicherungen erinnerte, die er von ihr erhalten hatte, daß die ganze Welt, gegen [194] ihn auf die Wagschale gelegt, ihr seinen Verlust nicht ersetzen würde. Gleichwohl gaben ihm ihre außerordentliche Armut und ihre überschwengliche Eitelkeit (von der wir den Leser bereits so etwas im Vorbeigehen haben merken lassen) einige kleine Hoffnung, daß sie, ungeachtet aller ihrer belobten Zärtlichkeit, doch wohl mit der Zeit dahin gebracht werden könnte, sich mit einem Glücke zu begnügen, welches ihre Erwartung überstiege und ihrer Eitelkeit dadurch schmeichelte, daß sie über alle Ihresgleichen emporgesetzt würde. Er beschloß also, die erste beste Gelegenheit wahrzunehmen, ihr Vorschläge von dieser Art zu machen.
Eines Tages sonach, als sein Arm so weit wieder geheilt war, daß er mit demselben in einer Binde ganz gemächlich gehen konnte, stahl er sich zu einer Zeit, da der Junker in seinen Jagdübungen begriffen war, aus dem Hause und ging seine Schöne zu besuchen. Ihre Mutter und Schwestern, die er beim Theetrinken fand, berichteten ihm anfangs, Molly sei nicht zu Hause; hernach aber sagte ihm die ältere Schwester mit einem boshaften Lächeln, sie läge im zweiten Stock in ihrem Bette. Tom ließ sich diese Situation seiner Geliebten gefallen und stieg augenblicks die Leiter hinauf, welche zu ihrem Schlafgemach führte. Als er aber an die oberste Sprosse gelangte, fand er zu seiner äußersten Verwunderung die Thüre verriegelt; auch konnte er einige Zeit lang von innen heraus keine Antwort erlangen, denn Molly, wie sie ihm hernach selbst sagte, lag im festen Schlafe.
Die äußersten Grenzen von Gram und Freude bringen, wie man bemerkt hat, sehr ähnliche Wirkungen hervor, und, wenn eins von beiden uns unvermutet überrascht, kann es leicht solch eine gänzliche Verwirrung und Betäubung in uns hervorbringen, daß wir dadurch des Gebrauchs all unseres Sinnesvermögens beraubt werden. Man kann sich demnach nicht darüber wundern, daß der unerwartete Anblick des lieben Jones so heftig auf Mollys Gemüt wirkte, daß sie einige Minuten hindurch unvermögend war, die großen Entzückungen auszudrücken, welche sie, wie der Leser leicht voraussetzen wird, bei dieser Gelegenheit überströmten. Jones, seinerseits, war von der Gegenwart des geliebten Gegenstandes dergestalt eingenommen, oder gleichsam so bezaubert, daß er für eine Weile Sophien, und folglich den Hauptzweck seines Besuches, vergaß.
Dieser kam ihm gleichwohl bald wieder in die Gedanken, und nachdem die ersten Entzückungen ihres Wiedersehens vorüber waren, fand er Mittel, die Unterredung allmählich auf die widerwärtigen Folgen zu leiten, welche ihre Liebe treffen müßten, wenn Herr Alwerth, der es ihm ausdrücklich verboten hätte, sie jemals wieder [195] zu besuchen, die Entdeckung machte, daß sie ihren Umgang noch immer fortsetzten. Eine solche Entdeckung, welche er
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