Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
sein als sie wolle. Und beide können unter manchen andern ganz guten auch diese sehr triftige Ursache für ihr Verfahren anführen, daß sie auf diese Art, wenn sie siegen, um so mehr Ehre einernten und um so weniger Unehre, falls sie [217] ja durch einen unglücklichen Zufall einmal den kürzeren ziehen sollten.
Herr Alwerth hatte nicht so bald sein Haupt emporgehoben und dem Himmel für die gute Hoffnung zu seiner Genesung gedankt, als sein Neffe Blifil mit einem höchst niedergeschlagenen Wesen seinen Stuhl näher zum Bette rückte und, nachdem er sein Taschentuch vor die Augen gebracht hatte, um seine Thränen abzuwischen, oder, wie Ovid sich irgendwo bei einer andern Veranlassung ausdrückt:
»Si nullus erit, tamen excute nullum,«
»Ist keine da, so wisch' die weg, die nicht da ist,«
machte er seinem Onkel bekannt, was der Leser eben erfahren hat.
Alwerth nahm die Nachricht auf mit Betrübnis, mit Geduld und mit Unterwerfung. Er vergoß eine Thräne der Zärtlichkeit, dann nahm er ein unruhiges Gesicht an und rief endlich aus: »Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«
Er erkundigte sich nunmehr nach dem Ueberbringer dieser Nachricht, aber Blifil sagte ihm, es wäre ihm unmöglich gewesen, den Mann nur einen Augenblick aufzuhalten, denn aus der übergroßen Eile, worin er gewesen, habe es ihm geschienen, daß er ein sehr wichtiges Geschäft in Händen haben müßte: er habe sich beklagt, daß er dergestalt herumgetrieben würde, daß er seines Lebens kaum froh würde, und habe oft wiederholt, daß, wenn er sich in vier Teile teilen könnte, er doch für jeden Teil der Geschäfte die Menge habe.
Herr Alwerth sagte darauf seinem Neffen, er möchte für das Leichenbegängnis Sorge tragen. Er äußerte dabei, daß seine Schwester in seiner eigenen Kapelle niedergesetzt werden möchte; die übrigen Umstände überließ er seiner eignen Willkür, nur daß er den Geistlichen ernannte, welcher bei der Bestattung sein geistliches Amt vernichten sollte.
Neuntes Kapitel.
Welches unter andrem auch als ein Kommentar über die Stelle im Aeschines dienen kann, wo er sagt: Trunkenheit zeigt das Gemüt eines Menschen, wie ein Spiegel seine persönliche Gestalt zurückwirft.
Der Leser mag sich vielleicht wundern, daß er im vorigen Kapitel kein Wort von Jones gehört hat. Die Ursache davon ist: [218] sein Betragen war von dem Betragen der andern darin erwähnten Personen so verschieden, daß wir lieber seinen Namen mit den ihrigen nicht vermengen mochten.
Nachdem der edle Mann seine Rede abgebrochen hatte, war Jones der letzte, der das Zimmer verließ. Er begab sich von da in sein eigenes, um seiner Betrübnis freien Lauf zu lassen. Allein die Unruhe seines Gemüts erlaubte es ihm nicht, lange daselbst zu verbleiben. Er schlich sich also leise auf den Zehen herunter bis an Herrn Alwerths Stubenthür, vor der er eine ziemliche Zeit lauschte, ohne darin die geringste Bewegung zu vernehmen, ausgenommen ein heftiges Schnarchen, welches ihn endlich seine Furcht für das letzte Todesröcheln halten ließ. Dies beängstigte ihn dergestalt, daß er sich nicht enthalten konnte, in das Zimmer hineinzuschleichen. Hier fand er nun den guten Mann in einem hübschen geruhigen Schlafe und seine Krankenpflegerin auf die obbesagte Art am Fuße des Bettes herzlich schnarchen. Er ergriff augenblicklich das einzige Mittel, diesen Generalbaß ins Pausieren zu setzen, weil er fürchtete, seine Musik möchte den Schlaf des Herrn Alwerth stören; und nachdem er sich bei der Wärterin niedergesetzt hatte, blieb er still, ohne sich zu regen, bis Herr Blifil und der Doktor zusammen hereintraten und den guten Mann aufweckten, damit der eine ihm den Puls befingern und der andre ihm die Zeitung überbringen könne, welche schwerlich unter diesen Umständen ihren Weg zu Herrn Alwerths Ohr gefunden haben möchte, wenn Jones den geringsten Wind davon gehabt hätte.
Jones, als er den Anfang dieser Geschichte hörte, welche Blifil seinem Onkel erzählte, konnte kaum den Zorn zurückhalten, welcher sich in seiner Brust über des andern Unbehutsamkeit entzündete, um so mehr da der Doktor dabei den Kopf schüttelte und seine Unzufriedenheit darüber bezeigte, daß man dem Kranken diese Nachricht sagen wollte. Allein da ihn sein Zorn nicht in dem Grade des Gebrauches seines Verstandes beraubte, daß er nicht die Folgen hätte begreifen sollen, welche heftige Ausdrücke gegen Blifil hätten für den Kranken hervorbringen
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