Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
können, so besänftigte diese Sorgsamkeit für jetzt seinen Aerger, und nachher ward er so vergnügt, als er fand, daß diese Nachricht wirklich kein Uebel gestiftet habe, daß er seinen Unwillen in seiner eigenen Brust ersterben ließ, ohne seiner jemals gegen Herrn Blifil zu erwähnen.
Der Arzt aß des Mittags in Herrn Alwerths Hause, und als er nach Tische seinen Patienten besucht hatte, sagte er der Tischgesellschaft, da er wieder zurück kam, daß er nunmehr das Vergnügen haben könne, mit Zuverlässigkeit zu sagen: sein Patient sei außer aller Gefahr, sein Fieber habe sich nunmehr völlig gebrochen [219] und er zweifle nicht, er würde mit einer Gabe Chinarinde sicher verhindern, daß es wiederkehre.
Diese Nachricht gefiel unserm Jones dermaßen und setzte ihn in einen solch hohen Grad der Entzückung, daß man mit Wahrheit von ihm hätte sagen können, er sei freudetrunken. Eine Trunkenheit, welche der Wirkung des Weines sehr zu statten kommt. Und da er bei dieser Gelegenheit gar nicht blöde mit seiner Weinflasche war (denn er trank manchen Bumper auf die Gesundheit des Doktors sowohl als andrer Personen), so ward er bald in buchstäblichem Verstande betrunken.
Jones hatte von Natur sehr bewegliche und heftige Lebensgeister. Da diese durch den Weinspiritus vermehrt und in Gang gesetzt wurden, so brachte das die allersonderbarsten Wirkungen hervor. Er küßte den Doktor und umarmte ihn unter den heftigsten Liebkosungen, schwur, daß er ihn nächst Herrn Alwerth selbst unter allen lebenden Menschen am liebsten hätte. »Doktor,« setzte er hinzu, »Sie verdienen, daß man Ihnen auf gemeine Kosten ein öffentliches Denkmal setzte, weil Sie einen Mann erhalten haben, der nicht nur der Liebling aller guten Menschen ist die ihn kennen, sondern eine Wohlthat für die Menschheit, eine Ehre seines Vaterlandes und ein Triumph der menschlichen Natur. Gott soll mich strafen, wenn ich ihn nicht lieber habe wie meine eigne Seele!«
»So mehr Schande für Sie, junger Herr!« rief Schwöger, »ob ich wohl glaube, daß Sie Ursache haben ihn zu lieben, denn er hat sie gar artig bedacht. Und vielleicht wäre es für jemand besser gewesen, wenn er nicht gelebt hätte, um gute Gründe zu finden, sein Vermächtnis wieder zurückzunehmen.«
Jones, der jetzt auf Schwöger mit unaussprechlicher Verachtung herabsah, antwortete: »Und glaubt Eure jämmerlich kleine Seele, daß irgend eine solche Betrachtung bei mir vom geringsten Gewicht sein könne? Nein, laßt die Erde sich aufthun und ihren eigenen Kot verschlingen (denn so würde ich es nennen, wenn ich eine Million Acker besäße), lieber, als daß sie meinen teuern, glorwürdigsten Freund verschlinge.«
Quis desiderio sit pudor aut modus
Tam cari capitis?
Um solch ein liebes Herz, wer schämte sich
Der Sehnsucht, oder wüßte je ihr Maß?
Hier legte sich der Doktor dazwischen und verhinderte die Wirkungen eines Zorns, der sich zwischen Jones und Schwöger entzündet hatte. Hierauf gab der erste seiner Munterkeit Raum, sang ein Paar oder mehr verliebte Lieder und fiel in alle jene Unordnung, [220] welche eine ungezähmte Freude einzuflößen pflegt. Aber so weit war er entfernt von aller Neigung zum Zank, daß er womöglich noch zehnmal friedfertiger und aufgeräumter war, als bei gewöhnlichem nüchternen Mute.
In Wahrheit, nichts kann irriger sein als die gemeine Sage, daß bösartige, zänkische Menschen beim Trunke die würdigsten Personen bei nüchternem Mute sind, denn wirklich kehrt Trunkenheit die menschliche Natur nicht um, oder erschafft Leidenschaften in ihnen, welche vorher nicht da waren. Sie schafft allerdings die wachende Vernunft beiseite und nötigt uns folglich, uns in der Gestalt zu zeigen, welche manche, so lange sie nüchtern sind, Kunst genug besitzen, zu verbergen. Sie erhöht und entzündet unsre Leidenschaften (freilich am gewöhnlichsten diejenige, welche eben in unsrem Gemüt die Oberhand hat,) solchergestalt, daß die zänkischen Gemüter, die Verliebten, die Großmütigen, die Friedseligen, die Geizigen, kurz alle menschlichen Gemütsarten beim Trunke sich am deutlichsten zu Tage legen.
Und dennoch, weil keine Nation so viele Zänkereien im Trunke hervorbringt als die englische, besonders unter dem gemeinen Manne (denn wirklich heißt bei ihnen mit einander trinken und sich schlagen fast einerlei und ebendasselbe), so möchte ich doch nicht, nach meiner Ueberzeugung, daß man daraus schlöße, das englische Volk sei eben das
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