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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Herzen die Oberhand hatte, riß ihn allemal zu den wildesten Ausschweifungen fort.
    Gleich nachdem Blifil sich empfohlen hatte, welches erst nach vielen Umarmungen und herzlichen Küssen von Herrn Western geschehen konnte, ging der gute Junker alsobald hin seine Tochter aufzusuchen, und er hatte sie nicht so bald gefunden, als er in die allerzügellosesten Freudebezeigungen ausbrach; ihr gebot, sie solle sich an Kleidern und Juwelen aussuchen was ihr nur gelüste; und beteuerte, er habe sein Vermögen zu keinem andern Gebrauche als sie froh und glücklich zu machen. Dann liebkoste er sie abermals und abermal mit dem größten Uebermaß von Zärtlichkeit; gab ihr die tändelndsten Liebe-Kinder-Namen, und versicherte aufs feierlichste, sie sei seine einzige Freude auf Erden.
    Als Sophie ihren Vater in dieser Anwandlung von Herzensergießung sah, wovon sie die Ursache nicht so eigentlich begriff (denn, Anwandlungen von Zärtlichkeit waren wohl freilich nicht so selten bei ihm, aber die jetzige war doch heftiger als gewöhnlich), so dachte sie, sie könne niemals eine bessere Gelegenheit finden als diese, ihm ihr Herz zu eröffnen, wenigstens insofern, als es Herrn Blifil anbeträfe, weil sie gar zu gut voraussah, daß sie bald in die Notwendigkeit geraten würde, die ganze Lage der Sache aufzuklären. Nachdem sie ihrem Vater also für alle Zärtlichkeitsversicherungen gedankt hatte, fügte sie mit einem unaussprechlich sanften Blicke hinzu: »Ist's möglich, daß mein teuerster Papa so gütig sein kann, alle seine Freuden in dem Glück seiner Sophie zu finden!« – Und nachdem Western diese Frage mit einem kräftigen Schwur und einem Kuß bejahet hatte, ergriff sie seine Hand, fiel auf ihre Kniee und bat ihn, nach wiederholten warmen und herzlichen Versicherungen von kindlicher Liebe und Gehorsam, sie nicht dadurch zum unglücklichsten Geschöpfe auf Erden zu machen, wenn er sie zwänge, einen Mann zu heiraten, den sie ganz und gar nicht ausstehen könnte. »Dies flehe ich von Ihnen, liebster Papa,« sagte sie, »sowohl um Ihretwillen, als um meiner selbst willen, weil Sie so höchst gütig sind, mir zu sagen, daß Ihre Glückseligkeit an die meinige geheftet ist.« – »Wa – was?« sagt Western und starrt dabei wild umher. – »O, herzlichgeliebter Papa, nicht bloß die Glückseligkeit Ihrer armen Sophie, nein, selbst ihr Leben, ihr Dasein hängt daran, daß Sie diese Bitte erhören. Ich kann nicht leben mit diesem Blifil. Mich zu dieser Heirat zwingen, heißt mich töten.« – »Kannst nicht leben mit Blifil?« sagte Western. – »Nein, so wahr ich selig zu werden hoffe, ich kann nicht!« antwortete Sophie. – »Nun so stirb und fahr' zum Satan!« schrie er und stieß sie [263] fort von sich. – »O, Papa!« schrie Sophie und hielt einen Schoß seines Rockes, »erbarmen Sie sich meiner, ich bitte, ich flehe! sei'n Sie nicht so zornig und so gar grausam! – – Können Sie unerweicht bleiben, wenn Sie Ihre Sophie in so fürchterlichen Umständen vor sich sehen? Kann der beste von allen Vätern mein Herz durchbohren? Will er mich des schmerzhaftesten, bittersten, langsamsten Todes sterben seh'n?« – »Pah, pah!« schrie der Junker. »Wischi waschi! Unsinn! Lauter Jungferngeziere! Sterben sehn! Je, ja doch! Wirst du auch vom Heiraten sterben!« – »O teuerster Papa,« antwortete Sophie, »solch eine Heirat ist ärger als der Tod. – Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich hass', ich verabscheu' ihn.« – »Hass'n hin, hass'n her!« schrie Western, – »sollst'n hab'n!« Dies bekräftigte er mit einem Eide, der zu fürchterlich war, um ihn zu wiederholen. Und nach mancher heftigen Beteurung schloß er mit diesen Worten: »Ich habe mein'n Sinn einmal drauf gesetzt, und wenn du nicht willst, wie ich: so kriegst du kein'n Schilling, nicht 'n roten Heller mit; nein, sag' ich dir, und sollt' ich dich auf der Straßen vor Hunger krepieren sehn! Nicht 'n Stück Brot wollt 'ch dir geben, um's Leben zu retten. Da hast du mein'n festen Entschluß, damit geh' 'ch; darnach kannst du dich richten!« Er riß sich darauf mit solcher Gewalt von ihr los, daß sie mit dem Gesicht gegen den Fußboden schlug, und er stürzte geradeswegs zum Zimmer hinaus und ließ die arme Sophie auf dem Boden hingestreckt liegen.
    Als Western an den großen Vorsaal kam, fand er daselbst Herrn Jones; dieser, als er seinen Freund so wild aussehend, blaß und fast atemlos sah, konnte sich nicht entbrechen, sich nach der Ursache dieses

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