Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
melancholischen Anblicks zu erkundigen. Worauf ihn der Junker alsobald mit der ganzen Sache bekannt machte, und mit bittern Drohungen gegen Sophie, jämmerlichen Klagen über die Not und das Elend aller solcher Väter, welche so unglücklich wären, Töchter zu haben, seine Rede schloß.
Jones, welchem alle die Beschlüsse, welche man zu Gunsten Blifils gefaßt hatte, noch ein Geheimnis waren, stand anfangs bei dieser Erzählung fast wie vom Blitze gerührt; als er aber seine Lebensgeister ein wenig wieder gesammelt hatte, flößte ihm die bare Verzweiflung, wie er hernachmals sagte, den Einfall ein, Herrn Western etwas vorzuschlagen, wozu, wie es schien, mehr dreiste Unverschämtheit erfordert wurde, als jemals einer menschlichen Stirn beschert worden. Er bat um Erlaubnis, zu Sophien zu gehen, um zu versuchen, ob er ihre Zustimmung zu ihres Vaters Absichten bewirken könne.
Wäre der Junker ebenso scharfsichtig gewesen, als er wegen [264] des Gegenteils merkwürdig war, so könnte ihn doch gegenwärtig sehr wohl sein Zorn geblendet haben. Er dankte Jones für das Anerbieten, diesen Dienst zu übernehmen, und sagte: »Geh, geh, bitte! Versuch's, was du thun kannst.« Und dann stieß er eine Schar entsetzlicher Flüche aus, wie er sie aus'm Hause werfen wolle, wenn sie nicht in die Heirat willigte.
Achtes Kapitel.
Zwiegespräch zwischen Jones und Sophie.
Jones ging alsobald fort, um Sophie zu suchen, die er fand, wie sie eben vom Boden aufgestanden war, auf welchem ihr Vater sie hatte liegen lassen, da noch die Thränen ihr aus den Augen tröpfelten und das Blut ihr aus den Lippen floß. Er lief stracks auf sie zu, und mit einer Stimme, die zugleich Zärtlichkeit und Entsetzen verriet, sagte er: »O meine Sophie, was bedeutet dieser furchtbare Anblick?« Sie blickte ihn erst auf einen Augenblick mit Sanftmut an, ehe sie redete, und dann sagte sie: »Herr Jones, um des Himmels willen! Wie sind Sie hierher gekommen? Verlassen Sie mich, noch diesen Augenblick, ich bitte Sie.« – »Legen Sie, ich bitte,« sagte er, »mir kein so hartes Gebot auf! Mein Herz blutet stärker als diese Lippen. O Sophie, wie gerne möchte ich meine Adern ausleeren, um nur einen Tropfen von diesem kostbaren Blute zu ersparen!« – »Ich bin Ihnen bereits schon zuviel Verbindlichkeit schuldig,« antwortete Sophie, »denn gewiß, Sie meinten mir welche zu leisten.« Hier sah' sie ihn, fast eine Minute lang, zärtlich an, und dann sagte sie mit sichtbarem Gefühl der innigsten Rührung: »O, Herr Jones, – warum retteten Sie mein Leben? – Mein Tod wäre weit glücklicher für uns beide gewesen!« – »Glücklicher für uns beide?« rief er. »Könnten mich alle Qualen der härtesten Folter so schmerzhaft töten, als meine Sophie? – Ich kann den Schall des entsetzlichen Worts nicht ausstehen! Lebe ich für etwas anderes, als für Sie?« Beides, seine Stimme und seine Blicke waren voll unaussprechlicher Zärtlichkeit, als er diese Worte sprach und zugleich ganz leise ihre Hand ergriff, die sie ihm nicht wegzog. Die Wahrheit zu sagen, so wußte sie wohl kaum, was sie sagte, oder was sie litt. Einige wenige Minuten gingen jetzt unter den Verliebten in Stillschweigen hin; unterdessen seine Augen inniglich auf Sophie, und die ihrigen auf den Boden gerichtet waren. Endlich sammelte sie Stärke genug, ihn noch einmal [265] zu bitten, er möchte sie verlassen, weil es zu ihrem unausbleiblichen Verderben gereichen würde, wenn man sie beieinander anträfe; und sie fügte hinzu: »O, Herr Jones, Sie wissen nicht, Sie wissen nicht, was diesen entsetzlichen Nachmittag hier vorgefallen ist.« – »Ich weiß alles, meine teuerste Sophie,« antwortete er; »Ihr grausamer Vater hat mir alles erzählt; und er selbst hat mich zu Ihnen hergeschickt!« – »Mein Vater, Sie zu mir geschickt?« erwiderte sie; »gewiß Sie träumen!« – »Wollte der Himmel,« rief er, »es wäre weiter nichts als ein Traum! O Sophie, Ihr Vater hat mich hergesandt zu Ihnen, ein Sachwalter meines verhaßten Nebenbuhlers zu sein und bei Ihnen sein Bestes zu reden. – Ich ergriff jedes Mittel, um Zutritt zu Ihnen zu gewinnen. O, sprechen Sie mir zu, Sophie, trösten Sie mein blutend Herz! Gewiß, noch nie hat ein Mensch so wahr, so herzinniglich geliebt als ich! Entziehen Sie mir nicht so ungütig diese teure, diese liebe, diese sanfte Hand. – Ein Augenblick trennt mich vielleicht von Ihnen auf ewig. – Nichts Geringeres als diese grausame Veranlassung hätte,
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