Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
glaube ich, jemals den Respekt, diese unendliche Ehrfurcht überwinden können, die Sie mir eingeflößt haben.« Sie stand einen Augenblick schweigend in Gedanken und Verwirrung; dann hob sie ihre Augen sanft gegen ihn auf und sprach: »Was möchte Herr Jones, daß ich ihm sagen sollte?« – »O, versprechen Sie nur, daß Sie sich niemals dem Blifil ergeben wollen!« – »Nennen Sie mir den verhaßten Namen nicht wieder! Seien Sie versichert, in meinem Leben erhält er von mir nicht das Geringste von dem, was ihm zu verweigern in meiner Gewalt steht!« – »Nun dann,« sagte er, »da Sie so höchst gütig sind, so bitte ich, gehen Sie noch einen kleinen Schritt weiter und fügen hinzu, daß ich hoffen dürfe!« – »Ach, Herr Jones,« sprach sie, »wohin wollen Sie mich verleiten? Was kann ich für Hoffnung geben? Sie kennen die Absicht meines Vaters.« – »Aber ich weiß auch,« antwortete er, »daß Ihre Einwilligung nicht erzwungen werden kann.« – »Was würden,« erwiderte sie, »die fürchterlichen Folgen meines Ungehorsams sein? Mein eigenes Unglück wäre mein geringster Kummer! Aber den Gedanken kann ich nicht ertragen, schuld an meines Vaters Elend zu sein!« – »Die Schuld ist seine,« versetzte Jones, »daß er sich eine Gewalt über Sie anmaßt, die ihm die Natur nicht gegeben hat. Denken Sie an den Jammer, der mich treffen muß, wenn ich Sie verliere, und sehen Sie, auf welche Seite das Mitleiden die Wagschale senken wird.« – »Daran denken!« wiederholte Sophie; »glaubten Sie wohl, daß ich das Elend nicht fühle, das ich über Sie bringen müßte, wenn ich Ihrem Begehren nachgäbe? – Ach, nur dieser Gedanke ist es, der mir den Mut gibt, von Ihnen zu [266] verlangen, daß Sie mich auf ewig fliehen und Ihr eigenes Verderben vermeiden sollen.« – »Ich fürchte kein Verderben,« schrie er, »als den Verlust meiner Sophie; wenn Sie mich von der bittersten aller Qualen erretten wollen, so widerrufen Sie diesen Ausspruch. – – Nein, nein, ich kann Sie nicht lassen; gewiß ich kann nicht; kann nicht!«
Die Liebenden standen nun beide stumm und zitternd; Sophie war unvermögend, ihre Hand aus Jones' Hand wegzuziehen, und er war beinahe ebenso unvermögend, sie zu halten; da wurde der Auftritt, welchen, wie ich glaube, einige meiner Leser schon für lang genug halten, durch einen andern von stürmischer Natur unterbrochen, dessen Erzählung wir aufs nächste Kapitel versparen.
Neuntes Kapitel.
Viel stürmischer als das vorige.
Ehe wir weiter fortfahren zu erzählen, was nun unsrem liebenden Paar begegnete, wird es dienlich sein, dasjenige beizubringen, was während ihrer zärtlichen Unterredung unten im Vorsaal vorging.
Sobald als Jones den Herrn Western auf die vorhin erzählte Weise verlassen hatte, kam seine Schwester zu ihm und empfing sehr bald Nachricht von allem, was zwischen ihrem Bruder und ihrer Nichte in Ansehung Blifils vorgefallen war.
Dieses Betragen ihrer Nichte legte die gute Dame aus als einen völligen Bruch der Traktate, nach welchen sie sich verbunden hatte, aus ihrer Liebe gegen Jones ein Geheimnis zu machen. Sie hielt sich also demzufolge für völlig frei, alles was sie wußte dem Junker zu offenbaren, was sie auch den Augenblick ohne alle Vorrede oder sonstige Zierlichkeiten und in den deutlichsten Ausdrücken that.
Der Gedanke an eine Heirat zwischen Jones und seiner Tochter war dem Junker niemals, weder in den wärmsten Minuten des Wohlwollens gegen diesen jungen Mann, noch aus Argwohn oder Verdacht, noch bei sonst einer Gelegenheit in den Sinn gekommen. Er hielt wirklich eine Gleichheit des Vermögens und des Standes für ebenso physikalisch notwendig bei einer Ehe, als die Verschiedenheit der Geschlechter, oder ein ander dergleichen wesentliches Erfordernis, und hatte ebensowenig besorgt, daß seine Tochter sich in einen armen Menschen verlieben würde, als irgend in ein andres Tier von verschiedener Gattung.
[267] Ihm ward also bei seiner Schwester Erzählung als einem vom Donner getroffenen. Anfangs war es ihm unmöglich zu antworten, weil ihn die gewaltige Bestürzung fast alles Atems beraubt hatte. Dieser stellte sich indessen bald wieder ein und zwar, wie es bei andern Fällen nach einer Ruhezeit zu geschehen pflegt, mit verdoppelter Stärke und Wut.
Den ersten Gebrauch, den er von der Gabe der Sprache machte, nachdem er solche nach überstandener Wirkung seines plötzlichen Erstaunens wieder erlangt hatte, war, eine derbe Ladung von Flüchen
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