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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Vollkommenheit. Sie sah sich nicht sobald vor aller Zuchthausgefahr in Sicherheit (ein Wort, welches in ihrem Gemüte die schreckvollsten Ideen erregt hatte), als sie ihre kecke Miene wieder annahm, die ihre Furcht vorher ein wenig kirre gemacht hatte. Sie legte ihre Stelle mit ebensoviel verstellter Freudigkeit und wirklich mit Verachtung nieder, wie es von jeher bei Resignationen von Stellen von weit größerer Wichtigkeit der gewöhnliche Brauch gewesen ist. Wenn es dem Leser also nicht unangenehm wäre: so möchten wir lieber sagen, sie resignierte – – eine Redensart, welche in der That zu allen Zeiten, mit Absetzen oder Fortjagen, einerlei Bedeutung gehabt hat.
    Herr Western gebot ihr, sie sollte eilen mit ihrem Packen; denn seine Schwester beteuerte, sie wolle keine Nacht mehr mit einem so frechen Weibsstück unter einem Dache schlafen. Sie machte sich also ans Werk, und zwar mit solchem Ernste, daß sie mit Abendanbruch fix und fertig war; da sie denn, nachdem sie ihren Lohn empfangen hatte, mit Sack und Pack davonzog; zur großen Zufriedenheit aller, doch zu keines mehr als Sophiens, welche ihre Jungfer bestellt hatte, gerade um die fürchterliche grauenvolle Gespensterzeit, zwölf Uhr, ihrer an einem gewissen Orte, nicht ferne vom Hause, zu warten, und nun anfing, sich zu ihrem eigenen Abzuge vorzubereiten.
    Vorher aber sah sie sich noch genötigt, ein paar ängstliche Audienzen zu geben. Eine ihrer Tante und die andre ihrem Vater. In dieser begannen Ihro Gnaden, Fräulein Tante, in einem viel entscheidendern Tone mit ihr zu sprechen als vorher; ihr Vater aber begegnete ihr auf eine so heftige und ungestüme Weise, daß sie vor Schrecken kein ander Mittel wußte, als sich zu stellen als ob sie seinem Willen nachgäbe. Dies machte dem guten Junker ein solches Behagen, daß er seine gerunzelte Stirne in Lächeln verwandelte und seine Drohungen in Versprechungen. Er schwur es, seine Seele hänge an der ihrigen; ihre Einwilligung (denn diesen Sinn legte er den Worten bei: Sie wissen, liebster Papa, ich kann, ich [23] darf nicht ungehorsam sein, wenn Sie mir etwas so ausdrücklich befehlen) habe ihn zum glücklichsten aller sterblichen Menschen gemacht. Er gab ihr auch eine ansehnliche Banknote, um sich dafür zu kaufen, was ihr Herz gelüste, und küßte und umhalsete sie mit aller erdenklichen Zärtlichkeit; wobei ihm Freudenthränen aus den Augen rannen, die noch ein paar Augenblicke vorher Feuer und Wut auf den teuersten Gegenstand aller Neigungen seines Herzens geschossen hatten.
    Beispiele eines solchen Betragens von Eltern sind so gewöhnlich, daß der Leser, wie ich nicht zweifle, sich über das ganze Benehmen des Herrn Western gar wenig wundern wird. Sollte ich mich hierin irren, so gestehe ich, daß ich's nicht zu erklären weiß; weil es wohl außer allem Streit ist, daß er seine Tochter mit höchster Zärtlichkeit liebte. Doch, das ist auch bei vielen andern der Fall, die durch ihre Aufführung ihre Kinder im höchsten Grade unglücklich gemacht haben; welches, ob es gleich fast alle Eltern ohne Ausnahme ebenso machen, mir dennoch immer als die allerunerklärbarste Ungereimtheit vorgekommen ist, die nur jemals in das Gehirn des allersonderbarsten und wunderbarsten Geschöpfes namens Mensch gekommen sein kann.
    Der letztere Teil von Herrn Westerns Benehmen that eine so starke Wirkung auf das zarte Herz seiner Tochter, daß es ihr einen Gedanken eingab, den weder alle politischen Sophistereien ihrer Tante, noch alle die Drohungen ihres Vaters hatten in ihrem Kopfe rege machen können. Sie ehrte ihren Vater so kindlich und liebte ihn so aufrichtig, daß sie kaum angenehmere Empfindungen kannte, als welche sie aus dem Anteile schöpfte, den sie oft daran hatte, zu seinem Zeitvertreibe mitzuwirken, und zuweilen vielleicht zu seinen höhern Freuden; denn er konnte sein Entzücken gar nicht bergen, wenn er sie loben hörte, und diese Freude hatte er fast alle Tage. Der Gedanke also an die unermeßliche Glückseligkeit, die sie ihrem Vater dadurch gewähren würde, wenn sie in die Heirat willigte, machte einen tiefen Eindruck auf ihre Seele. Dazu gesellte sich das hohe Verdienst eines solchen Beweises von kindlichem Gehorsam, welches, da sie im Herzen wirklich viel Religion hatte, ebenfalls stark wirkte. Zuletzt, wenn sie erwog, wie viel sie selbst zu leiden haben würde, indem sie wirklich nicht viel weniger denn ein Opfer oder eine Märtyrerin der kindlichen Liebe und Pflicht würde, so fühlte sie ein

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