Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
meines Herzens, daß Homer die vom Horaz gegebene Regel hätte wissen können, nach welcher man übernatürliche Wesen so selten als möglich ins Spiel mischen soll: so hätten wirs nicht erlebt, daß seine Götter bei den nichtsbedeutendsten Gelegenheiten sich geschäftig erweisen und sich zuweilen auf eine solche Art benehmen, daß sie nicht nur alle Ansprüche auf Göttern geziemende Ehrerbietung verlieren, sondern selbst Gegenstände des Hohns und Spotts werden. Ein Betragen, welches selbst der Leichtgläubigkeit eines frommen und aufgeklärten Heiden nicht leicht zu verdauen gewesen sein muß und welches sich auch niemals hätte verteidigen lassen, wenn nicht die Voraussetzung bei den meisten stattgefunden hätte, welcher ich selbst zuweilen beitreten möchte, nämlich, daß dieser vortrefflichste aller Dichter (denn das war er unstreitig), die versteckte Absicht hatte, den unvernünftigen Aberglauben seiner Zeit und seines Vaterlandes lächerlich zu machen.
Jedoch ich habe mich zu lange bei einer Lehre aufgehalten, welche für einen christlichen Schriftsteller von gar keinem Nutzen sein kann, denn, so wie er in seinen Schriften niemand von den himmlischen Heerscharen auftreten lassen kann, an welche er nach seiner Religion glaubt, so ist es das elendeste Kinderspiel in der heidnischen Mythologie nach solchen Gottheiten zu blättern, welche vorlängst schon von ihrem Throne der Unsterblichkeit herabgestürzt sind. Lord Shaftesbury macht die Bemerkung, er kenne nichts Frostigeres, als wenn die neuern Dichter eine Muse anrufen; er hätte hinzusetzen [60] können, daß auch in der Welt nichts Abgeschmackteres sei. Ein neuerer Schriftsteller könnte mit weit mehr Eleganz eine Ballade oder eine alte Romanze anrufen, wie einige von Homer geglaubt haben, oder einen Krug Bier, wie der Dichter des Hudibras, welcher letztere möglicherweise mehr Poesie und Prosa eingegeben hat, als alle Sprudelwasser der Hippokrene oder des Helikon zusammengenommen. Die einzigen übernatürlichen Wesen oder Kräfte, welche auf irgend eine Weise uns neuern Schriftstellern gestattet werden können, sind die Geister oder Gespenster, und dennoch möchte ich jedem Autor raten, damit sehr sparsam umzugehen. Diese sind gleichsam dem Arsenikum und andern gefährlichen Mitteln in der Arzneikunst zu vergleichen, welche mit der äußersten Behutsamkeit gebraucht werden müssen, und möchte ich ihre Einführung in keinem Werke, oder solchen Verfassern anraten, bei welchen, oder für welche die Lautlache des Lesers ein großer Nachteil oder eine große Demütigung werden könnte.
Der Gnomen- und Feengeschlechter oder dergleichen ähnlichen Mummenschanzes erwähne ich mit Fleiß nicht, weil ich höchst ungern solche bewundernswürdige Imaginationen in irgend einige Grenzen einschließen möchte, für deren unermeßliche Kräfte die Schranken der menschlichen Natur zu enge sind, deren Werke man als eine neue Schöpfung betrachten muß und welche folglich ein Recht haben, mit ihrem Eigentum nach eigenem Belieben zu schalten und zu walten.
Der Mensch ist also der höchste Gegenstand (es sei denn, daß eine außerordentliche Veranlassung wirklich eine Ausnahme gestatte), der sich der Feder unsers Geschichtsschreibers oder unseres Poeten darstellt. Und in Erzählung seiner Handlungen erfordert es große Sorgfalt, daß wir nicht über die Kräfte der handelnden Person, welche wir beschreiben, hinausgehen.
Auch die Möglichkeit allein ist nicht hinlänglich uns zu rechtfertigen; wir dürfen ebensowenig die Regeln der Wahrscheinlichkeit überschreiten. Es ist, glaube ich, die Meinung des Aristoteles, oder wo nicht, so ist es die Meinung eines weisen Mannes, dessen Ansehen ebenso wichtig werden wird, nachdem solche ebenso alt geworden ist: »Es sei keine Entschuldigung für einen Dichter, der etwas Unglaubliches erzählt, daß das Erzählte eine wirkliche Thatsache sei.« Dies mag vielleicht in Beziehung auf die Dichtkunst für eine Wahrheit gelten. Es aber auf die Geschichte auszudehnen, möchte wohl für unthunlich erachtet werden, denn die Pflicht des Geschichtschreibers ist, die Sachen so aufzuschreiben, wie er sie findet, ob sie gleich von einer so außerordentlichen Beschaffenheit sein mögen, daß kein geringer Grad von historischem Glauben dazu erfordert wird, sie hinunterzuschlingen. Von dieser Art war die fruchtlose Kriegsrüstung [61] des Xeres, welche uns Herodot aufgezeichnet hat, oder der glückliche Feldzug Alexanders, welchen uns Arrian
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