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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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erzählt. Von der Art waren in letzten Zeiten der Sieg bei Azincourt, welchen Heinrich der Fünfte erfocht, oder der bei Narwa, Karls des Zwölften von Schweden. Alle diese Beispiele scheinen uns immer wundervoller und erstaunlicher je länger wir darüber nachdenken.
    Dergleichen Thatsachen indessen, weil sie an dem Faden der Geschichte hängen, ja weil sie wirklich den wesentlichsten Teil derselben ausmachen, so ist der Geschichtschreiber keinem Vorwurf unterworfen, wenn er sie so erzählt, wie sie sich wirklich zutrugen, sondern es wäre ihm wirklich nicht zu verzeihen, wenn er sie auslassen oder verändern wollte. Allein es gibt andre Fakta von minderer Wichtigkeit und mindern Folgen, welche, mit was für bewährten Zeugnissen man sie auch belegen kann, demungeachtet aus Gefälligkeit gegen die Zweifelsucht der Leser der Vergessenheit übergeben werden dürfen. Von der Art ist die merkwürdige Geschichte von dem Gespenste des George Villers, die man mit aller Anständigkeit dem Doktor Drelincourt hätte zum Geschenk machen können, um in seiner Vorrede zu der Abhandlung über den Tod dem Gespenste der Demoiselle Vealle Gesellschaft zu leisten. Dahin hätte sie sich weit besser geschickt, als in ein so ernsthaftes Werk wie die Geschichte der Rebellion.
    Es ist ausgemacht, wenn sich der Geschichtschreiber bloß auf das einschränkt was wirklich geschehen ist, und jeden Umstand durchaus verwerfen will, von welchem er, so wohl bescheinigt er auch sein mag, dennoch weiß, daß er falsch sei, so wird er zwar zuweilen ins Wunbare, aber nie ins Unglaubliche verfallen. Er wird zwar öfter bei seinen Lesern Verwunderung und Erstaunen, niemals aber den ungläubigen Haß erregen, dessen Horaz Erwähnung thut. Nur da durch also, daß wir uns mit Fiktionen abgeben, sündigen wir gemeinglich wider diese Regel der vernachlässigten Wahrscheinlichkeit, von welcher sich der Geschichtschreiber niemals oder nur selten entfernt, bis er seinen Charakter verleugnet und zur Klasse der Romanschreiber übergeht. In diesem Punkte haben unterdessen solche Geschichtschreiber, welche bloß öffentliche Begebenheiten beschreiben, einen großen Vorteil vor uns voraus, die wir uns auf die Auftritte des Privatlebens einschränken. Die Glaubwürdigkeit der erstern hat lange Zeit hindurch einen dauerhaften Grund an der öffentlich bekannten Sage, und diese Sage nebst dem öffentlichen Zeugnis verschiedener Schriftsteller leistet auf künftige Jahrhunderte für ihre Wahrhaftigkeit Gewähr. Daher haben ein Trajan und ein Antonin, ein Nero und ein Caligula alle bei der Nachwelt Glauben gefunden, und niemand zweifelt daran, daß Männer von so höchst vortrefflichem und [62] ebenso schändlichem Charakter einstmals Herren der Welt gewesen sind.
    Wir aber, die wir es mit Privatpersonen zu thun haben wir, die wir in den geheimsten Winkeln herumsuchen müssen und Beispiele der Tugend und des Lasters aus Hütten und Höhlen der Welt hervorziehen, wir befinden uns in einer gefährlichen Lage, da wir keine öffentliche Sage für uns haben, noch öffentlich bekannte Zeugnisse oder Chroniken und Protokolle, unsere Erzählungen zu bestärken; uns geziemt es, uns nicht nur in den Schranken der Möglichkeit, sondern auch in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu halten; und dies um so mehr, wenn wir uns darauf einlassen, das zu schildern, was in einem hohen Grade gut und liebenswürdig ist. Schelmerei und Thorheit, wenn sie auch noch soweit gehen, finden weit leichter Glauben; denn hier leiht ein schlechtes Herz der Zuversicht eine große Stärke und Stütze.
    Dieserwegen können wir, vielleicht mit weniger Gefahr, die Geschichte eines gewissen Namens Fischer erzählen. Dieser hatte eine lange Zeit hindurch der Großmut des Herrn Derby sein Brot zu verdanken, und als er noch eben eines Vormittages von ihm eine ansehnliche Gabe empfangen hatte, versteckte er sich, um sich des Uebrigen, was noch in seines Freundes Schreibpulte übrig geblieben, zu bemächtigen, in einer öffentlichen Schreibstube des bekannten Gebäudes Tempel, durch welches ein Gang nach Herrn Derbys Zimmern ging. Hier überhörte er, wie Herr Derby sich an einem Gastmahle ergötzte, welches er den Abend seinen Freunden gab, und wozu dieser Fischer selbst mit eingeladen war. Diese ganze Zeit über war kein freundschaftlicher oder dankbarer Gedanke in seiner Seele aufgestiegen, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern; als aber der arme Herr Derby seine Gesellschaft durch das Schreibzimmer hinaus

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