Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
begleitet hatte, kam Fischer plötzlich aus seinem Lauscheplatz hervor, folgte ihm ganz leise auf den Zehen bis in sein Zimmer und schoß ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf. Dies kann man glauben, wenn schon die Gebeine des Fischer ebenso verfault sind, als sein Herz. Ja, vielleicht findet man nichts Unglaubwürdiges darin, daß der Bösewicht zwei Tage darauf mit einem jungen Frauenzimmer nach dem Schauspielhause ging, um den Hamlet aufführen zu sehen, und mit ganz unveränderten Mienen ein Frauenzimmer, das wohl wenig vermutet, wie nahe ihr der Mann saß, ausrufen hörte: »Gütiger Gott, wenn jetzt der Mann hier wäre, welcher den Derby ermordete!« und dadurch ein verhärteter und versteinerter Gewissen anzeigte, als selbst Nero hatte, von welchem uns Suetonius erzählt: daß gleich nach dem Tode seiner Mutter das Bewußtsein seines Verbrechens ihm unerträglich wurde und beständig so blieb, [63] und daß auch alle Glückwünschungen der Soldaten, des Senats und des Volks die Angst seines Gewissens nicht zu lindern vermochten.
Sollte ich nun aber auf der andern Seite meinem Leser erzählen, daß ich einen Mann gekannt habe, dessen durchdringendes Genie ihn instandsetzte, auf einer vor ihm ganz unbetretenen Bahn ein großes Vermögen zu erwerben; daß er dieses mit Bewahrung seiner vollkommensten Redlichkeit gethan, und nicht nur ohne irgend einer einzelnen Person den geringsten Nachteil oder Schaden zuzufügen, sondern mit dem höchsten Vorteil für das Kommerzium überhaupt und zur großen Vermehrung der öffentlichen Einkünfte; daß er einen Teil seines Reichtums dazu verwendet, einen Geschmack zu zeigen, desgleichen nicht viele haben, durch Werke, worin sich die höchste Würde mit der reinsten Einfalt vereinigte; und einen andern Teil des Reichtums, um ein Herz zu zeigen, dessen Güte alle Menschen übertraf, durch Handlungen der Wohlthätigkeit an Menschen, die weiter keine Empfehlung hatten, als ihre Verdienste oder ihre Bedürfnisse; daß er äußerst sinnreich war, darbende Verdienste aufzusuchen; höchst thätig, sie aus der Not zu reißen, und dann ebenso sorgfältig (vielleicht zu sorgfältig), das, was er gethan hatte, zu verbergen; daß sein Haus, sein Hausrat, seine Gärten, seine Tafel, seine tägliche Gastfreundschaft und seine öffentlichen Gaben alle das Herz anzeigten, aus welchem sie herflossen; alle einen innerlichen, großen, edlen Wert hatten, ohne Prunk, und äußerliche Großprahlerei; daß er jedes Verhältnis des Lebens mit der erforderlichen richtigsten Tugend erfüllte; daß er gegen seinen Schöpfer die frömmste, reinste Verehrung hegte, sowie den höchsten Eifer und die zuverlässigste Treue gegen seinen Landesherrn; daß er ein höchst zärtlicher Gatte war, ein liebreicher Verwandter, ein freigebiger Gönner, ein warmer und beständiger Freund, nachsichtig gegen sein Gesinde, gastfrei gegen seine Nachbarn, barmherzig gegen die Armen, und wohlthätig gegen das arme Menschengeschlecht; sollte ich zu diesen Beiwörtern noch hinzufügen die Namen: weise, mutvoll, elegant und in der That jedes edle Eigenschaften ausdrückende Beiwort in unsrer Sprache: gewiß dann dürft ich sagen:
–
Quis credet? nemo Hercule! nemo;
Vel duo, vel nemo.
– Wer wird es glauben? wer?
Beim Himmel, keiner! – keiner oder zwei!
Und dennoch hab' ich einen Mann gekannt, der gerade völlig so ist, wie ich ihn hier beschrieben habe. Ein einziges Beispiel aber (und ich gestehe freimütig, daß ich kein zweites kenne) ist nicht hinreichend, uns zu rechtfertigen, da wir für Tausende schreiben, welche [64] niemals von einem solchen Manne oder von einem etwas ähnlichen gehört haben. Solche weiße Raben sollte man in die Kabinette der Epitaphienschreiber, oder irgend eines oder des andern Poeten liefern, welche sich für euch vielleicht herablassen mögen, den Namen eines solchen Mannes in ein Distichon in zerstückeln, oder in einem Reime durchschleichen zu lassen, mit der ganzen Miene von Nachlässigkeit und Unachtsamkeit, damit sich ja der Leser nicht daran stoße.
Endlich und zuletzt müssen die Handlungen nicht nur von der Beschaffenheit sein, daß sie in den Grenzen der Kräfte eines menschlichen Wesens liegen, und daß man ihm solche mit Wahrscheinlichkeit zutrauen könne; sondern sie sollen sich auch gerade so für die handelnden Personen schicken, daß sie solche mit Wahrscheinlichkeit gethan haben können: denn dasjenige, was für den einen Mann bloß außerordentlich und
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