Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
bestrafen zu lassen.
Auf diese Erklärung eröffnete ihm Jones die reine Wahrheit und bat ihn angelegentlichst, den armen Kerl nicht zu bestrafen, »der, wie ich überzeugt bin,« sagte er, »ebenso unschuldig an der Flucht des Fähnrichs, als unfähig ist, eine Lüge zu schmieden oder Ihnen etwas aufheften zu wollen.«
Der Leutnant bedachte sich ein paar Augenblicke und antwortete alsdann: »Nun wohl! einen Teil der Schuld haben Sie von dem Kerl abgewälzt und der andre wird unmöglich zu erweisen stehen, weil er den Posten nicht immer und allein gehabt hat. Aber ich habe große Lust, den Schäker für seine Zaghaftigkeit strafen zu lassen. Jedoch, wer kann es wissen, wie weit das Grauen einen Menschen bei einer solchen eingebildeten Erscheinung treiben mag. Die Wahrheit zu sagen, hat er sich gegen den Feind immer sehr wacker betragen. Wohlan! es ist doch immer gut bei solchen Kerlen ein Zeichen von Religion zu sehen; so also verspreche ich's Ihnen, er soll frei sein, sobald wir ausmarschieren.«
»Aber horch, da schlägt schon der Generalmarsch! Lassen Sie sich noch einmal umarmen, mein lieber Kamerad. Sei'n Sie ruhig und pflegen Ihrer Gesundheit und vergessen nicht, daß die christliche [58] Lehre zur Geduld vermahnt: so geb' ich Ihnen mein Wort, Sie sollen bald im stande sein, Ihre Scharte auszuwetzen und eine ehrenvolle Rache an dem Kerl zu nehmen, den Sie beschimpft hat.« Hiermit ging der Leutnant fort, und Jones versuchte sich zum Schlafen zurechtzulegen.
Achtes Buch.
Umfaßt etwas mehr als zwei Tage.
Erstes Kapitel.
Ein wundervolles langes Kapitel über das Wunderbare; bei weitem das längste von allen unsern Einleitungskapiteln.
Da wir jetzt ein Buch anfangen, in welchem der Faden unsrer Geschichte uns nötigen wird, einige Dinge von weit sonderbarerer und wundersamerer Art vorzubringen, als irgend etwas von dem, was bisher vorgekommen ist, so mag es nicht undienlich sein, in diesem vorläufigen oder Einleitungs-Kapitel etwas über die Art von Schriftstellerarbeit zu sagen, welche man das Wunderbare nennt. Für dieses werden wir, sowohl zum Nutz und Frommen für uns selbst als für andre, uns bestreben, gewisse Grenzlinien zu ziehen. Und in der That kann wohl nichts Notwendigeres erdacht werden, da Kritiker 1 von verschiedenem Maß und Gewicht hier sehr geneigt sind, auf ganz verschiedene Seiten über die Markpfähle hinaus zu schreiten. Denn unterdessen, daß einige mit Monsieur Dacier ganz willig einräumen, daß eben die Sache, welche unmöglich ist, dennoch wahrscheinlich sein könne 2 , haben andre einen so schwachen historischen oder poetischen Glauben, daß sie meinen, nichts sei weder möglich noch wahrscheinlich, dessen Gleiches oder Aehnliches ihnen nicht bei ihren eigenen Beobachtungen aufgestoßen ist.
Zuerst also, denk' ich, kann man mit aller Billigkeit von jedem Schriftsteller fordern, daß er sich in den Grenzen der Möglichkeit halte und nie vergesse, daß das, was für den Menschen nicht möglich ist zu thun, auch schwerlich für den Menschen möglich sei zu glauben, einer hab' es gethan. Diese Ueberzeugung brachte vielleicht manches Geschichtchen von den alten heidnischen Göttern (wovon die meisten poetischen [59] Ursprungs sind) zur Welt. Die Dichter, welche gern in üppiger und ausschweifender Phantasie leben und weben, nahmen ihre Zuflucht zu diesem Seelenvermögen, dessen Stärke und Inhalt ihre Leser nicht messen konnten, oder vielmehr, welche sie für unendlich hielten und also kein dadurch hervorgebrachtes Wunder unter die Unmöglichkeiten rechneten. Hiervon hat man zur Verteidigung der Homerischen Wunder einen starken Gebrauch gemacht, und vielleicht kann es zu seiner Verteidigung gebraucht werden; nicht, wie Pope meint, weil Ulysses den Phäaken ein Schnürchen von Kindermärchen vorerzählt, weil es eine einfältige Nation war, sondern deswegen, weil der Dichter selbst für Heiden geschrieben, für welche die mythologischen Fabeln wirkliche Glaubensartikel ausmachten. Ich meinesteils muß bekennen, ich bin von Natur so mitleidig, daß ich wünschte, Polyphemus wäre von seiner Milchdiät nicht abgegangen und hätte also sein Auge behalten. Ebensowohl konnte auch Ulysses nicht wohl mehr Kummer fühlen, da seine Gefährten von der Circe in Schweine verwandelt wurden, welche hernachmals, wie mich dünkt, zu viel Lecken nach Menschenfleisch verriet, um uns glauben zu lassen, sie habe es bloß der geräucherten Schinken wegen gethan. Ebenso wünsche ich vom Grunde
Weitere Kostenlose Bücher