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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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wunderbar sein mag, kann, wenn es von einem andern erzählt wird, unwahrscheinlich, ja selbst unmöglich werden.
    Dieses letzte Erfordernis enthält das, was die Dramaturgisten Haltung des Charakters nennen, und kann nur durch einen außerordentlichen Grad von Beurteilungskraft und eine tiefe Kenntnis der menschlichen Natur erreicht werden.
    Es ist von einem vortrefflichen Schriftsteller mit äußerster Richtigkeit bemerkt worden, daß der Enthusiasmus eines Mannes ihn ebensowenig hinreißen kann, geradezu gegen seine Absichten zu handeln, als ein schneller Fluß ein Boot gegen seinen eigenen Strom führen kann. Ich will es wagen zu behaupten, es sei einem Menschen wo nicht unmöglich doch ebenso wunderbar und unwahrscheinlich, als man sich nur irgend etwas denken kann, daß er geradeswegs gegen die Vorschriften und Triebe der Natur handeln werde. Wollte man den besten Teil von der Geschichte des Antonin dem Nero zuschreiben, oder wollte man die schändlichsten von Neros Handlungen auf Antonins Rechnung setzen, könnte man etwas allem Glauben Widerstrebenderes ersinnen, als eins von diesen Beispielen? Dagegen alle beide, wenn sie von ihren wahren Urhebern erzählt werden, das eigentliche wahre Wunderbare ausmachen. Die Verfasser unserer neuern Schauspiele sind fast durchgängig in den hier angemerkten Irrtum verfallen. Ihre Helden sind meistenteils unverhohlene Taugenichtse, und ihre Heldinnen sind um nicht viel besser während des ganzen Laufes der vier ersten Aufzüge. Im fünften aber werden die ersten hübsche, würdige Männer, und die letzten vernünftige, edle und tugendhafte Weiber. Oft ist auch der Verfasser nicht einmal so gütig, sich die geringste Mühe zu geben, diese ungeheure Veränderung zu motivieren oder auch nur zu rechtfertigen. Man findet dafür wirklich keine andre Ursache angebracht, als daß sich das Spiel zum Ende neigt, so, als ob es ebenso natürlich [65] für einen Schurken wäre, sich in dem letzten Akte einer Komödie wie in dem letzten seines Lebens zu bekehren. Wir wissen es wohl, daß das gemeiniglich der Fall auf dem Theater des Hochgerichts ist, ein Platz der in der That mit vieler Schicklichkeit die Szene mancher Komödie schließen könnte; weil die Helden in diesen gewöhnlich große Vorzüge gerade in denjenigen Talenten besitzen, welche nicht nur einen Mann unter den Galgen führen, sondern ihn auch fähig machen, die Rolle eines Helden zu spielen, wenn er erst dort ist.
    Unter diesen wichtigen Einschränkungen, denke ich, könne es jedem Schriftsteller erlaubt werden, sich mit dem Wunderbaren so viel abzugeben als er Lust hat; ja sogar, jemehr er den Leser überraschen kann, wenn er sich dabei innerhalb der Grenzen der Glaubwürdigkeit hält, jemehr wird er seine Aufmerksamkeit spannen, und jemehr Vergnügen wird er ihm verursachen. Wie ein Genie von der ersten Klasse in seinem fünften Buche über das Erhabene anmerkt: »Die höchste Kunst des Dichters besteht darin, die Wahrheit mit der Erdichtung zu vermischen, um das Glaubwürdige mit dem Ueberraschenden zu verbinden.«
    Denn obgleich jeder gute Schriftsteller sich innerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit halten wird, so ist es doch keineswegs nöthig, daß seine Charaktere oder darzustellende Begebenheiten und Vorfälle alltäglich, gemein und von gewöhnlichem Schlage sein müßten, sowie solche in jeder Gasse oder jedem Hause vorgehen, oder wie sie in den schlichten Artikeln einer Zeitung erzählt werden. Auch muß es ihm unverwehrt bleiben, manche Personen und Dinge aufzustellen, welche einem großen Teil seiner Leser vielleicht noch niemals zur Wissenschaft gekommen sind. Beobachtet der Schriftsteller die vorgedachten Regeln genau: so hat er das seinige gethan; und dann hat er Anspruch auf einigen Glauben bei seinem Leser, welcher sich wirklich einer kritischen Atheisterei schuldig macht, wenn er sich weigert, seine Schrift für wahr zu halten. Der Mangel einer Portion von solchem Glauben verursachte, wie ich mich erinnere, daß der Charakter einer jungen Dame von Stande in einem Lustspiele, vor einer großen Versammlung von Schreibern und Kaufmannsburschen, einstimmigerweise als unnatürlich verdammt wurde, ob er gleich schon vorläufig den Beifall vieler Damen vom ersten Range erhalten hatte; wovon eine, deren sehr richtiger Verstand allgemein bekannt war, erklärt hatte: es wäre ein Gemälde von der Hälfte aller jungen Damen von ihrer Bekanntschaft.
Fußnoten
    1 Unter diesem Worte werden hier und in den

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