Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Antwort zu geben; die Bedingungen mögen aber gewesen sein welche sie wollen, so ist so viel gewiß, daß sie das Geld und er seine Freiheit hatte. Der Leser mag vielleicht von dem mitleidigen Gemüte dieser guten Frau erwarten, daß, als sie die arme Schildwache wegen [56] eines Vergehens in Arrest bringen sah, an welchem sie ihn unschuldig wußte, sie sogleich hätte auftreten und ein Zeugnis zu seinem Besten ablegen sollen; aber ob es daher kam, daß sie bei der vorigen Verhandlung ihren ganzen Vorrat an Mitleiden erschöpft, oder daß die Gestalt dieses Kerls, ob sie schon viel ähnliches mit dem Fähnrich hatte, solches nicht erwecken konnte, das lasse ich unausgemacht; aber weit entfernt dem jetzigen Gefangenen das Wort zu reden, suchte sie noch, sein Vergehen bei dem Offizier zu vergrößern, indem sie mit gen Himmel gehobenen Augen und Händen beteuerte, sie möchte um alles in der Welt nichts damit zu thun gehabt haben, einen Mörder entwischen zu lassen.
Alles war nun wieder ruhig geworden, und die meisten von der Gesellschaft gingen wieder nach ihren Betten; die Wirtin aber, welche, entweder wegen der immer regen Thätigkeit ihres Geistes, oder wegen der Besorgnis um ihr Silber und Zinn, keinen Hang zum Schlafen fühlte, erhielt von den Offizieren, da ihre Zeit zum Aufbruche nicht viel über eine Stunde mehr entfernt wäre, diese Zeit bei einer Schale Punsch mit ihr zuzubringen.
Jones hatte diese ganze Zeit über wachend gelegen und ein großes Teil von dem Gewimmel und Getümmel im Hause mit angehört, und nun wandelte ihn eine kleine Neugier an, die besondern Umstände davon zu erfahren. Er machte sich also über die Klingel her, und schellte wenigstens wohl zwanzigmal, ohne daß jemand kam; denn die Wirtin war mit ihrer Gesellschaft so lustig und laut, daß man keine andre Klapper als ihre eigene zu hören vermochte, und der Kellner und das Stubenmädchen, welche beieinander in der Küche saßen (denn er konnte ebensowenig allein aufsitzen, als sie allein im Bett liegen), jemehr sie die Schelle klingeln hörten, je banger ward ihnen und sie waren sozusagen auf ihren Schemeln angenagelt.
Endlich drang, während einer kleinen Pause des Zungenkonzerts, der Klang bis zu den Ohren der Frau Wirtin, welche gleich ihren Ruf erschallen ließ, dem beide Bedienten auf der Stelle gehorchten. »Johann,« sagte die Frau, »hört Ihr nicht, daß der Herr oben klingelt? Warum geht Ihr nicht hinauf?« – »'S ist meines Thuns net,« sagte der Kellner, »für die Zimmer zu sorgen! das kommt der Liesel, dem Stubenmädel zu!« – »Ja, wenn hä mer so sprecht!« antwortete die Magd, »meins Thuns ists au'net, Herrn ufzewarte, ich ha'es wohl zewiele hethan, adder der schwarze Mann soll mer dorch te Fänster führe, wänn 'ch's wedder kethue; weel hä toch tavon schnattert.« Da die Glocke noch immer heftig erscholl, ward die Wirtin zornig und schwur, wenn der Kellner nicht den Augenblick hinaufginge, so wollte sie ihn noch diesen Morgen ablohnen. »Wänn Sie's thuän, Matam,« sagte er, »so muß ech mer's kefalle lasse, [57] ech thue nun eemal net, was mer net zukümmt.« Sie wendete sich also an die Magd und suchte es von der mit Güte zu erhalten; aber alles vergebens. Die Liesel war ebenso unbiegsam als der I'han. Beide bestanden darauf, es wäre nicht ihr Geschäft und sie wollten's nicht thun!
Der Leutnant fing darauf an zu lachen und sagte: »Kommt, ich will dem Zank ein Ende machen!« Dann wandte er sich an die Bedienten, lobte sie beide wegen ihrer Entschlossenheit nicht nachzugeben, aber, setzte er hinzu, er wäre versichert, wenn nur einer einwilligte zu gehen, so würde es der andre gleich auch thun. Diesen Vorschlag genehmigten beide im Augenblick und gingen demzufolge in Liebe und Eintracht dicht aneinandergeschlossen hinauf. Als sie fortgegangen waren, besänftigte der Leutnant den Zorn der Wirtin dadurch, daß er ihr begreiflich machte, warum sie so ungern allein hätte gehen wollen.
Sie kamen bald wieder und berichteten ihrer Frau, daß der kranke Herr so wenig tot sei, daß er vielmehr so munter spräche, als ob er ganz gesund wäre, und daß er sich dem Herrn Leutnant empfehlen ließe und sich freuen würde, wenn er ihn noch mit einem Besuche beehren wolle, ehe er abmarschierte.
Der gute Leutnant erfüllte alsobald sein Begehren, und nachdem er sich an sein Bett gesetzt hatte, erzählte er ihm den Auftritt, der unten vorgefallen war, und beschloß mit seinem Vorsatz, die Schildwache exemplarisch
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