Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
läßt. Ich legte jetzt meine Bücher beiseite und überließ mich einen ganzen Monat den Ausbrüchen der Betrübnis und Verzweiflung. Die Zeit, als der beste Arzt der Seele, brachte mir indessen am Ende einige Erleichterung.« – »Ja, ja;
tempus edax
rerum!
« sagte Rebhuhn. – »Ich beschäftigte mich also,« fuhr der Fremde fort, »von neuem mit meinem vormaligen Studieren, welches, wie ich sagen mag, meine Genesung völlig zustandebrachte: denn Philosophie und Religion können Uebungen der Seele genannt werden, und wenn diese kränklich ist, so sind ihr solche ebenso heilsam und gesund, als Uebungen und Bewegungen einem schwachen kränklichen Körper. Sie bringen wirklich ähnliche Wirkungen wie die körperlichen Bewegungen hervor: denn sie stärken und kräftigen die Seele, bis der Mensch so wird, wie Horaz sagt:
Fortis et in se ipso totus teres atque rotundus,
Externi ne quid valeat per leve morari:
In quem manca ruit semper fortuna.
Fest auf sich selbst, vollendet um und an,
Gewandt und ganz und sicher seiner Bahn,
Daß nichts ihn seitwärts je verweile, daß
Des Unglücks Anfall stets den kürzern zieh'.«
Hier lächelte Jones über einen Einfall, der sich vor seine Imagination drängte; der Fremde aber, glaub' ich, ward solches nicht gewahr und fuhr folgendergestalt fort:
»Meine Umstände waren nunmehr durch den Tod dieses besten unter den Menschen gar merklich verändert worden: denn mein Bruder, der jetzt zum Besitze des Hauses gelangt war, besaß eine solche Denkungsart und solche Neigungen, die von den meinigen ganz verschieden waren. Auch lagen die Zwecke und Beschäftigungen [130] unseres Lebens so weit auseinander, daß wir die schlimmste Gesellschaft zusammen ausmachten. Was uns aber unser geselliges Leben noch unangenehmer machte, war die wenige Eintracht, welche unter den wenigen, welche mich besuchten und unter dem zahlreichen Haufen von Weidmännern, welche meinen Bruder von der Jagd zu Tische begleiteten, obwalten konnte. Denn solche Menschen, nicht gerechnet den Lärm und Unsinn, womit sie die Ohren vernünftiger Menschen quälen, bestreben sich beständig, sie durch allerlei Beleidigungen ihre Verachtung fühlen zu lassen. Dies ging hier soweit, daß weder ich selbst noch meine Freunde uns jemals mit ihnen zu einer Mahlzeit niedersetzen konnten, ohne ihnen dadurch zu ihren Spöttereien zu dienen, daß wir in der weidgerechten Sprache unbewandert waren. Männer von wahrer Gelehrsamkeit und fast allgemeiner Wissenschaft haben allemal Mitleiden mit der Unwissenheit anderer: Leute hingegen, welche in einer geringfügigen, niedrigen, unbedeutenden Kunst ein wenig mehr wissen als andere, glauben gewiß allemal berechtigt zu sein, diejenigen zu verachten, welche in dieser Kunst unerfahren sind.
Kurz wir säumten nicht, uns zu trennen, und auf den Rat eines Arztes reiste ich nach Bath, um den Brunnen zu trinken, weil mein heftiger Gram und meine stillsitzende Lebensart mir eine Art von Gicht zugezogen hatten, gegen welche das Wasser zu Bath für ein fast unfehlbares Mittel geachtet wird. Den zweiten Tag nach meiner Ankunft, als ich an dem Bache spazieren ging, schien die Sonne so innig heiß (ob's gleich noch früh im Jahre war), daß ich den Schatten einiger Bäume suchte, worin ich mich am Ufer des Baches niedersetzte. Hier war ich noch nicht lange gesessen, als ich an der andern Seite der Weiden jemand seufzen und bittere Klagen ausstoßen hörte. Auf einmal rief er mit Vorausschickung eines höchst gotteslästerlichen Fluches: Nein, das will ich nicht länger tragen! und damit stürzte er sich plötzlich ins Wasser. Ich sprang augenblicklich auf, rannte nach dem Orte hin und rief zu gleicher Zeit so laut ich konnte um Hilfe. Glücklicherweise war etwas tiefer den Strom hinab ein Mann mit Angeln beschäftigt, ob ihn gleich einiges Gebüsch meinem Blicke verborgen hatte. Er kam augenblicklich heraus, und wir beide zogen mit vereinten Kräften, nicht ohne einige Lebensgefahr, den Leichnam ans Ufer. Anfangs merkten wir kein Zeichen des noch vorhandenen Lebens an ihm, als wir ihn aber bei den Füßen in die Höhe hoben (denn wir bekamen bald Beistand genug), gab er eine Menge Wasser durch den Mund von sich, und endlich entdeckten wir einige Anzeichen von Respiration und kurz darauf, daß er an Händen und Füßen noch einige Bewegungen äußerte.
[131] Ein Apotheker, der unter andern gegenwärtig war, gab den Rat, daß der Körper, der sich nun so ziemlich vom Wasser
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