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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Mannes (wie er's nannte) lebendig zu begraben. Dergleichen Zureden hatten unterdessen keine Wirkung und ich betrat von neuem meine väterliche Wohnung. Mein Vater fing an stark in mich zu dringen, ich möchte drauf denken mich zu verheiraten. Meine Neigungen aber waren allen dergleichen Gedanken völlig zuwider. Ich hatte bereits gekostet was Liebe sei, und vielleicht kennen auch Sie den unbändigen Flug dieser zärtlichsten und heftigsten aller Leidenschaften.« Hier hielt der Alte inne und sah dem Herrn Jones sehr ernsthaft ins Gesicht, dessen Wangen in der Zeit einer Minute die äußersten Schattierungen von rot sowohl als weiß darlegten, worauf der alte Mann ohne irgend weitere Anmerkungen seine Erzählung wieder anknüpfte.
    Da ich nunmehr mit allen Bedürfnissen des Lebens versorgt war, nahm ich abermals mein Studieren wieder vor, und zwar mit mehr und heftigerem Fleiße als jemals vorher. Die Bücher, welche [128] jetzt allein meine ganze Zeit beschäftigten, waren diejenigen, welche sowohl unter den alten als neuern von der wahren Philosophie handeln, ein Wort, welches von vielen für einen Gegenstand des Lachens und Spottens gehalten wird. Ich las nun von neuem die Werke des Aristoteles und Plato, nebst den übrigen jener unerschöpflichen Schätze, welche die alten Griechen der Welt hinterlassen haben.
    Diese Schriftsteller lehrten mich nun freilich keine Wissenschaft, vermittelst welcher die Menschen sich versprechen können, den geringsten Reichtum oder die mindeste weltliche Macht zu erwerben. Aber sie lehrten mich den höchsten Erwerb beider verachten. Sie erheben den Geist und stählen und härten ihn gegen die eigensinnigsten Behandlungen des Glücks; sie lehren nicht nur die Weisheit finden und kennen, sondern bestärken auch die Menschen in ihrer Ausübung und zeigen uns deutlich, daß sie unser Wegweiser sein müsse, wofern wir uns vorsetzen, jemals zum höchsten Gipfel zeitlicher Glückseligkeit zu gelangen, oder uns mit einiger zuverlässigen Sicherheit gegen das Elend zu verteidigen, welches uns von allen Seiten umringt und belagert.
    »Zu diesem fügte ich noch ein anderes Studium, verglichen mit welchem alle Philosophie, welche uns selbst die weisesten Heiden gelehrt haben, wenig besser ist als ein Traum und in der That eben so leer und eitel, als es dem einfältigsten Possenreißer jemals in den Sinn gekommen sein mag, sie vorzustellen. Dies ist diejenige himmlische Weisheit, welche allein in den Büchern der heiligen Schrift zu finden ist: denn diese leitet uns in die zuverlässige Kenntnis solcher Dinge, die unsrer Aufmerksamkeit weit würdiger sind als alles, was diese Welt unsrem Wünschen und Verlangen darzubieten vermag: solcher Dinge, welche der Himmel selbst sich herabgelassen hat, uns zu offenbaren und zu deren mindester Kenntnis der höchste menschliche Witz ohne höhern Beistand sich nicht emporschwingen könnte. Ich begann nunmehr zu denken, daß alle Zeit, welche ich auf die besten heidnischen Schriftsteller verwendet hatte, nicht viel besser als reiner Verlust gewesen sei; denn so angenehm und ergötzend ihre Lehren sein, oder so anwendbar solche auf die beste Einrichtung unsrer Aufführung in Rücksicht auf diese Welt befunden werden mögen, so werden doch, wenn man sie mit den erhabenen Endzwecken der heiligen Offenbarung vergleicht, ihre höchsten Gründe der Weisheit ebenso unwichtig und unbedeutend erscheinen, als die Gesetze und Regeln, nach welchen Kinder ihre kleinen kindischen Spiele und Zeitvertreibe einrichten. Wahr ist's, daß die Philosophie uns zu weiseren, aber das Christentum zu bessern Menschen macht. Die Philosophie erhöht und stählt den [129] Geist, das Christentum aber macht ihn mild und sanft. Die erste macht uns zu Gegenständen der menschlichen Bewunderung, das letztere aber zu Gegenständen der Liebe Gottes. Jene versichert uns eine zeitliche, dieses aber eine ewige Glückseligkeit. – Aber ich besorge, meine Rhapsodie mache Ihnen Langeweile.«
    »Ganz und gar nicht!« rief Rebhuhn; »'s wäre schlimm, wenn wir nicht wüßten, was es heißt:
    Je besser Ding je mehr Weile!«
    »Ich hatte,« fuhr der Fremde fort, »ungefähr vier Jahre auf die angenehmste Weise für mich selbst hingebracht, mich ganz allein mit mir selbst und meinem Nachdenken beschäftigt, ohne mich um irgend eine Sache in dieser Welt zu bekümmern, als ich den besten der Väter verlor, den ich so aufrichtig liebte, daß mein Gram über seinen Verlust sich auf keine Weise beschreiben

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