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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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ander Logis und auch wenige oder gar keine Bekanntschaft in der Stadt.
    Dieser Wundarzt, dessen Namen ich vergessen habe, ob ich mich gleich noch erinnere, daß solcher sich mit einem R anfing, war einer der geschicktesten in seiner Profession und Leibchirurgus des Königs. Er hatte überdem viele andre gute Eigenschaften; er war ein sehr großmütiger, menschenfreundlicher Mann und immer bereit seinen Nebengeschöpfen alle möglichen Dienste zu leisten. Er bot seinem Patienten an, er möge sich seines Wagens bedienen, um sich nach seiner Herberge bringen zu lassen und flüsterte ihm zu gleicher Zeit ins Ohr, wofern er Geld bedürfe, könne er ihm damit aushelfen.
    Der arme Mann befand sich jetzt nicht im Stande ihm für dieses großmütige Anerbieten zu danken, denn nachdem er eine Zeitlang seine Augen fest auf mich geheftet hatte, fiel er in seinen Stuhl zurück und rief aus: ›O mein Sohn, mein Sohn!‹ und sank darauf in Ohnmacht.
    Einige von den gegenwärtigen Personen meinten, dieser Zufall wäre von dem häufigen Verlust des Blut entstanden, ich aber begann um diese Zeit mich der Gesichtszüge meines Vaters zu erinnern, und seine Ausrufungen bestärkten mich in meiner Vermutung und überzeugten mich, daß er es selbst sei, den ich da vor mir hatte. Ich rannte augenblicklich auf ihn zu, faßte ihn in meine Arme und küßte seine kalten Lippen mit der wärmsten Inbrunst. Hier muß ich einen Vorhang über einen Auftritt ziehen, den ich nicht beschreiben kann. Denn ob ich gleich nicht wie mein Vater auf eine Zeit lang meine ganze Besonnenheit verlor, so waren doch meine Sinne von Schrecken und Erstaunen dergestalt überwältigt, daß ich mich nicht erinnere was einige Minuten hindurch um mich her vorgegangen ist, und dieser Betäubung dauerte solange bis mein Vater sich von seiner Ohnmacht wieder erholt hatte und ich mich in seinen Armen befand, da wir uns denn beide ganz zärtlich umfaßt hielten, unterdessen daß über unser beider Wangen ein reichlicher Thränenstrom herabrollte.
    Die meisten von den gegenwärtigen Personen schienen über diesen Auftritt gerührt zu sein, den wir, die man als die spielenden Personen betrachten konnte, den Augen aller Zuschauer so bald als möglich zu entziehen wünschten. Mein Vater nahm also das gütige Anerbieten des Wundarztes an und ließ sich in seinem Wagen nach seiner Herberge bringen, wohin ich ihn begleitete.
    Als wir uns allein befanden, machte er mir darüber sanfte Vorwürfe, daß ich so lange Zeit versäumt hatte, ihm zu schreiben, erwähnte aber des Verbrechens mit keiner Silbe, welches hierzu die Veranlassung gegeben hatte. Er gab mir hierauf Nachricht von [127] dem Tode meiner Mutter und bestand darauf, daß ich mit ihm nach Hause kehren sollte, indem er sagte, er habe schon seit langer Zeit meinetwegen den größten Kummer erlitten, er wisse nicht, ob er meinen Tod mehr gefürchtet oder gewünscht habe, weil er in so mancher schrecklichen Besorgnis um mich gewesen sei. Endlich, sagte er, habe ihm ein benachbarter guter Freund, welcher eben einen Sohn von eben dem Ort nach Hause bekommen hätte, Nachricht gegeben, wo ich mich aufhielte, und die einzige Ursache seiner Reise nach London wäre gewesen, mich von dieser Lebensart zurückzubringen. Er dankte dem Himmel, daß es ihm insofern gelungen mich durch einen Zufall ausfindig zu machen, der ihm sehr leicht das Leben hätte kosten können, und daß er das Vergnügen habe, zu denken, er habe seine Erhaltung großenteils meiner menschenfreundlichen Denkart zu verdanken, die ihm, wie er beteuerte, mehr Freude machte, als er über meine kindliche Empfindung gehabt haben würde, wenn ich gewußt hätte, daß der Gegenstand aller meiner Sorgfalt mein eigner Vater wäre.
    Das Laster hatte mein Herz noch nicht bis zu dem Grade verderbt, daß es gegen eine so große väterliche Liebe, ob sie gleich auf einen so Unwürdigen fiel, hätte unempfindlich sein sollen. Ich versprach alsobald seinem Befehle zu gehorchen und mit ihm heimzukehren, sobald er im stande sein würde zu reisen, und unter dem Beistande des vortrefflichen Wundarztes der seine Kur übernommen hatte, war er in wenig Tagen vermögend den Rückweg anzutreten.
    Den Tag vor meines Vaters Abreise (bis dahin hatte ich ihn kaum einen Augenblick verlassen) ging ich hin, von einigen meiner genauesten Bekannten Abschied zu nehmen, besonders vom Herrn Watson, welcher mir abriet mich aus bloßer Gefälligkeit gegen die affenliebigen Wünsche eines grillenhaften alten

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