Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
über die Ohren betrunken und selbst Rebhuhn fand sich in nicht viel nüchternern Umständen. Was den Herrn Wirt betrifft, so war Trinken sein Beruf und der edle Malzsaft hatte keine weitere Wirkung auf ihn, als auf jedes andre Gefäß in seinem Hause.
Die gebietende Frau des Wirtshauses war eingeladen worden mit Herrn Jones und seiner Gefährtin Thee zu trinken und sie gab ihnen eine ausführliche Nachricht von dem letzten Teile des vorstehenden Auftritts, wobei sie ihr großes Bedauern über die junge Dame ausdrückte, welche, wie sie sagte, darüber in der äußersten Verlegenheit wäre, daß sie verhindert würde ihre Reise fortzusetzen.
»Es ist ein gar süßes, schönes Engelskind,« setzte sie hinzu, »und es ist mir nicht anders, als ich muß ihr Gesicht schon ehedem gesehen haben. Es kommt mir so vor als ob sie verliebt sei und von ihren Verwandten fortfliehe. Wer weiß, ob nicht einer oder der andre junge Herr mit ebenso schwerem Herzen auf sie wartet, als sie hier zögern muß.«
Jones holte bei diesen Worten einen tiefen Seufzer, welchen Madame Waters zwar bemerkte, aber nicht zu bemerken scheinen wollte, so lange als die Wirtin im Zimmer war; als aber die gute Frau weggegangen, konnte sie sich nicht enthalten unserm Helden gewisse Winke zu geben, wie sie argwöhnte, daß sie eine gefährliche Nebenbuhlerin haben möchte. Das gezwungene Betragen des Herrn Jones bei dieser Gelegenheit bekräftigte ihr die Wahrheit, ohne daß er ihr auf eine von ihren Fragen geradezu geantwortet hätte. Allein sie war in ihren Amours nicht ekel genug, um sich diese Entdeckung gar zu tief zu Herzen gehen zu lassen. Die Schönheit des Herrn Jones war in ihren Augen äußerst reizend, weil sie aber sein Herz nicht sehen konnte, so machte sie sich darüber keinen Kummer. Sie war eine Frau, die sich's an der Tafel der Liebe herzlich wohl schmecken lassen konnte, ohne darüber nachzusinnen, [175] daß bereits schon eine andre daran gespeist worden, oder daß künftig eine andre von eben der Schüssel ihre Mahlzeit thun würde. Eine Denkart, welche man freilich wohl nicht zu der empfindsamsten zählen kann, der man doch aber die Solidität nicht absprechen kann, und welche dabei weniger eigensinnig und vielleicht auch weniger abgünstig und eigennützig ist, als die Wünsche solcher Weiblein, welche sich's allenfalls gefallen lassen wollen, sich des Besitzes ihrer Liebhaber zu begeben, wenn sie nur hinlänglich überzeugt sind, daß solche niemand anders besitze.
Siebentes Kapitel.
Nähere Nachrichten von Madame Waters, und von der Art und Weise, wie sie in die bedrängten Umstände geriet, aus welchen sie durch Jones gerettet wurde.
Obgleich die Natur, sowie sie jeden einzelnen Menschen bildet, keineswegs zu der Mischung völlig gleiche Teile von Neugierde und Eitelkeit genommen hat, so gibt es doch vielleicht kein einziges Individuum, dem sie nicht einen so reichlichen Anteil von beiden hätte zukommen lassen, daß es ihm viele Kunst und Mühe kostete, um sie in Zaum und Zügel zu halten, und doch ist diese Herrschaft für jedermann durchaus notwendig, der nur einigen Anspruch auf den Charakter eines weisen oder wohlerzogenen Mannes behaupten will.
Da nun Jones mit allem Recht ein wohlerzogener Mann heißen konnte, so hatte er alle die Neugierde unterdrückt, welche die außerordentlichen Umstände, in welchen er Madame Waters angetroffen, nach aller Wahrscheinlichkeit in ihm erregt haben mußten. Er hatte wirklich anfangs darüber einige halbe Worte gegen die Dame fallen lassen, als er aber merkte, daß sie mit Fleiß allen Erklärungen auswich, so ließ er sich's gefallen darüber in Unwissenheit zu bleiben, um so mehr da er fast ein wenig argwöhnte, es möchten, wenn sie die ganze Wahrheit erzählte, solche Umstände vorkommen, worüber sie zu erröten hätte.
Weil es gleichwohl möglich ist, daß einige von unsern Lesern sich bei dieser Unwissenheit nicht ebenso leicht beruhigen möchten und wir doch sehr geneigt sind, ihnen allen möglichst zu Gefallen zu sein, so haben wir uns ungemeine Mühe gegeben, auf den wahren Grund der Sache zu kommen, und wollen davon zum Schlusse dieses Buches Nachricht geben.
Diese Dame also hatte einige Jahre her mit einem gewissen Kapitän Waters gelebt, der eine Kompanie in eben dem Regiment hatte, zu welchem der Fähnrich Northerton gehörte. Sie hieß Frau [176] Hauptmännin und führte seinen Namen, und doch, wie der Feldwebel sagte, gab es einige Leute, welche Zweifel hegten,
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