Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
immunes ab illis malis sumus.
Ich habe noch nie in meiner Grammatik gelesen, daß ein Mann kein guter Mann sein kann, der sich nicht mit dem Feinde herumschlägt.
Vir bonus est quis? Qui consulta Patrum, qui leges juraque servat.
Da steht kein Wort vom Fechten, und das weiß ich gewiß, die heilige Schrift ist dergestalt dawider, daß mir's kein Mensch einreden soll, er sei ein guter Christ, so lang' er edles Christenblut vergießt.«
Viertes Kapitel.
Abenteuer mit einem Bettelmanne.
Eben als Rebhuhn die fromme christliche Meinung herausgesagt hatte, womit sich das vorige Kapitel beschloß, gelangten sie an einen Kreuzweg, wo sie ein lahmer Kerl in Lumpen um ein Almosen ansprach, worüber ihn Rebhuhn sehr anfuhr und sagte: »Jedes Kirchspiel müßte seine eignen Armen ernähren.« Hierbei fing Jones an zu lachen und fragte Rebhuhn, ob er sich, bei so viel christlicher Gesinnung im Munde nicht schäme, so wenig christliche Liebe im Herzen zu haben. »Seine Religion«, sagte er, »dient Ihm bloß dazu, seine Fehler zu entschuldigen, aber sie treibt Ihn nicht zur Tugend an. Kann ein Mensch, der wirklich ein Christ ist, sich enthalten einem Bruder beizuspringen, der sich in so bedürftigen Umständen befindet?« Und zu gleicher Zeit langte er mit der Hand in die Tasche und gab dem armen Mann ein Achtgroschenstück.
»Herr,« rief der Bettelmann, nachdem er sein »Lohn es Gott!« gesagt hatte; »ich habe hier ein kurioses Ding in meiner Tasche, welches ich eine Stunde Wegs von hier gefunden habe, wenn Ihr Exzellenz geruhen wollten, es zu kaufen. Ich wollt's nicht wagen allermann zu weisen; aber Ew. Exzellenz sind en so scharmanter Herr und so generös gegen Arme, daß Sie keinen Menschen im Verdacht haben werden und mein'n, er sei 'n Dieb, bloß darum, weil er arm ist.« Hierauf zog er ein kleines Taschenbuch mit vergoldetem Schlosse hervor, und gab es Herrn Jones in die Hände.
Jones öffnete es alsobald, und (errate Leser, was er fühlte!) sah gleich auf der ersten Seite die Worte: Sophie Western, geschrieben von ihrer eignen schönen Hand. Sowie er den Namen las, drückte er ihn augenblicklich fest an seine Lippen; er konnte es auch nicht vermeiden, in einige ausschweifende Entzückungen zu fallen, ungeachtet der Gegenwart seiner Gefährten. Vielleicht machten aber eben diese Entzückungen, daß er vergaß, daß er nicht allein sei.
[288] Während Jones das Buch beküßte und beschmatzte, als ob er eine vortreffliche, braungeröstete Kruste im Munde gehabt hätte, oder als ob er wirklich ein Bücherwurm oder ein Autor gewesen wäre, der nichts anders zu essen hat, denn sein eignes Werk, fiel ein Stück Papier aus seinen Blättern auf die Erde, welches Rebhuhn aufhob und Herrn Jones wieder zustellte, der es alsobald für eine Banknote erkannte. Es war wirklich eben dieselbige Banknote, welche Western seiner Tochter des Abends vor ihrer Abreise geschenkt hatte; und ein Jude wäre vor Freuden hoch aufgesprungen, wenn er sie ein Quart pro Cent unter hundert Pfund Sterlinge hätte kaufen können. Rebhuhns Augen funkelten bei dieser Neuigkeit, welche Jones mit lauter Stimme bekannt machte; und so funkelten auch die Augen (obgleich aus einer etwas verschiedenen Absicht) des armen Kerls, der die Brieftasche gefunden hatte, und welcher (ich hoffe aus einem Grundsatze von Ehrlichkeit) sie gar nicht aufgemacht hatte. Jedoch würden wir nicht redlich mit dem Leser verfahren, wenn wir unterließen, ihm von einem kleinen Umstande Nachricht zu geben, der hier vielleicht ein wenig wesentlich ist, nämlich, der Kerl konnte nicht lesen.
Jones, welcher nichts als reine Freuden und Entzücken über den Fund des Buchs gefühlt hatte, empfand bei dieser neuen Entdeckung eine Beimischung von Kummer; denn seine Einbildungskraft leitete ihn alsobald darauf, daß die Eigentümerin der Banknote ihrer vielleicht benötigt sein möchte, ehe es ihm möglich wäre, ihr solche wieder zuzustellen. Er unterrichtete hierauf den Finder, daß er die Dame kenne, der das Taschenbuch zugehörte, und daß er sich bemühen wolle, sie so bald als möglich aufzufinden und es ihr wieder zu bringen.
Das Taschenbuch war ein neuliches Geschenk, das Ihro Gnaden Fräulein von Western ihrer Nichte gegeben hatte. Es hatte seine acht Thaler gekostet, weil es von einem berühmten Galanteriehändler gekauft wor den. Der wahre Wert des vergoldeten Silbers aber, womit es beschlagen war, belief sich etwa auf zwölf Groschen, und diesen Preis würde besagter
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