Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
sich fürs erste zurück und sagte zu der Kammerjungfer: Wenn es jetzt eine unbequeme Stunde wäre, der Dame seine Aufwartung [46] zu machen, so wolle er des Nachmittags wieder kommen, und er hoffe alsdann auf die Ehre, derselben seinen Respekt bezeigen zu können. Die Höflichkeit womit er dies vorbrachte, zusammengenommen mit der großen Anmut seiner Person, machte Eindruck auf die Kammerjungfer, und sie konnte sich nicht enthalten zu antworten: »Das ist vielleicht möglich, mein Herr!« Und in der That sagte sie hernach ihrer Gebieterin alles mögliche, was sie nur für fähig erachtete sie zu überreden, einen Besuch von dem hübschen jungen Herrn anzunehmen; denn so nannte sie ihn. Jones vermutete sehr schlau, Sophie wäre jetzt bei ihrer Cousine, und würde für ihn verleugnet; und dies habe er ihrem Unwillen über das, was zu Upton vorgefallen, zuzuschreiben. Nachdem er also Rebhuhn fortgeschickt hatte, um eine Wohnung für ihn zu mieten, blieb er den ganzen Tag über in der Gasse und ließ die Thüre des Hauses nicht aus den Augen, worin, wie er meinte, sein Engel verborgen war. Allein er sah niemand herauskommen, ausgenommen einen Bedienten des Hauses. Und des Nachmittags ging er wieder hin, Madame Fitz Patrick seinen Besuch zu machen, und diese gute Dame war endlich so herablassend, ihn anzunehmen.
Es gibt ein gewisses Wesen von Wohlerzogenheit im natürlichen Anstande und Betragen eines Menschen, welches zu zeigen oder zu verbergen, nicht in der Gewalt der Kleider steht. Dieses Wesen besaß Herr Jones, wie wir bereits vorhin haben merken lassen, in einem sehr hohen Grade. Die Aufnahme, welche er deswegen von der Dame empfing, war etwas von derjenigen verschieden, die sein äußerlicher Aufzug zu erheischen schien. Sogar ward er, nachdem er ihr die erforderlichen Respektsbezeigungen abgestattet hatte, gebeten, sich zu setzen.
Der Leser wird, wie ich glaube, nicht verlangen, diese Unterredung umständlich zu erfahren, welche sich eben nicht zu großer Zufriedenheit des Herrn Jones endigte. Denn obgleich Madame Fitz Patrick sehr bald den Liebhaber entdeckte (denn in solchen Dingen haben alle Frauenzimmer Falkenaugen), so dachte sie doch noch immer, es wäre ein solcher Liebhaber, dem eine großmütige Freundin die Geliebte nicht verraten müßte. Kurz, sie hegte den Argwohn, es wäre der wahre Herr Blifil, vor welchem Sophie geflohen sei, und alle Antworten, welche sie künstlicherweise von Herrn Jones über Herrn Alwerths Familiensachen herauslockte, bestärkten sie in dieser Meinung. Dieserhalben läugnete sie gradezu, daß sie die geringste Kenntnis von dem Orte habe, wohin Sophie gegangen sei; und Jones konnte nichts weiter erhalten, als die Erlaubnis, ihr des folgenden Nachmittags wieder aufzuwarten.
Nachdem Jones fortgegangen war, eröffnete Madame Fitz Patrick [47] ihren Argwohn, in Ansehung des Herrn Blifils, ihrer Kammerjungfer, welche drauf antwortete: »Gewiß, Ihr Gnaden, es ist ein viel zu hübscher Mann nach meiner Meinung, daß nur irgend ein Frauenzimmer in der Welt vor ihm weglaufen könnte. Ich sollte lieber glauben, es wäre Herr Jones.« – »Herr Jones?« sagte die Dame. »Was für ein Herr Jones?« Denn Sophie hatte sich in allen ihren Gesprächen kein Wörtchen von einer solchen Person entfallen lassen. Allein Jungfer Honoria war weit mitteilender gewesen, und hatte ihrer Schwesterzofe Jones' ganze Geschichte zum besten gegeben, welche diese nunmehro ihrer Gebieterin wieder erzählte.
Sobald als Madame Fitz Patrick diesen Unterricht eingezogen hatte, stimmte sie der Meinung ihrer Jungfer völlig bei und sah, was ganz unbegreiflich ist, an dem wackern glücklichen Liebhaber Reize, die sie an dem verachteten Junker übersehen hatte. »Betty,« sagte sie, »Sie hat ganz gewiß recht; es ist ein sehr hübscher Mensch, und ich wundre mich nicht, daß Ihr die Jungfer meiner Cousine gesagt hat, es wären so manche Frauenzimmer in ihn verliebt. Es thut mir jetzt leid, daß ich ihm nicht gesagt habe, wo meine Cousine zu finden ist; und doch, wenn er ein so fürchterlicher Wildfang ist, so wäre es traurig, wenn sie ihn jemals wieder zu sehen bekommen sollte; denn was kann anders dabei herauskommen, einen solchen unbeständigen Liebesritter und armen Bettler gegen den Willen eines Vaters zu heiraten, als daß sie sich ins Elend stürzte? Nein, gewiß! wenn es ein solcher Mensch ist, wie ihn das Mädchen ihr beschrieben hat, so ist es ein wahrer Liebesdienst zu verhindern, daß sie nichts
Weitere Kostenlose Bücher