Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
umständlichste Nachricht von besagtem Herrn Jones eingezogen, und solche gestern abend (oder vielmehr heute morgen) ihrer Dame beim Auskleiden aufs getreueste hinterbracht hatte; welches dann verursacht, daß ihre Amtsverrichtungen sich über anderthalb Stunden hinaus in die Länge gezogen hatten.
Ueberhaupt genommen war diese Dame gemeiniglich mit der Unterhaltung der Jungfer Fahrwin zu diesen Stunden ganz wohl zufrieden, aber diesmal hatte sie freilich die Nachricht, den Herrn Jones betreffend, mit außerordentlicher Aufmerksamkeit angehört; denn Honoria hatte ihn als einen sehr schönen Menschen beschrieben und Jungfer Fahrwin hatte in der Eile ihrer Verrichtungen dieser Beschreibung noch so viele persönliche Schönheiten hinzugefügt, daß ihre gnädige Frau anfing, ihn für eine Art von Wundergeschöpf der Natur zu halten.
Die Neugierde, welche ihr die Kammerjungfer eingeflößt hatte, ward jetzt durch Madame Fitz Patrick um ein großes vermehrt, welche von der Person des Herrn Jones ebensoviel Vorteilhaftes sagte, als sie vorher Nachteiliges von seiner Geburt, von seinem Charakter und seinem Vermögen gesagt hatte.
Als die Bellaston das Ganze angehört hatte, antwortete sie sehr ernsthaft: »In Wahrheit, Madame, die Sache ist sehr wichtig und Sie verdienen gewiß das größte Lob wegen der Partie, die Sie dabei genommen haben, und ich werde mich freuen, auch meinerseits dazu beizutragen, daß ein junges Frauenzimmer von so vielem Verdienste, und für welches ich so große Achtung hege, vor Unglück und Gefahr bewahrt werde.«
»Meine gnädige Frau, glaubten Sie nicht,« sagte Madame Fitz Patrick mit Lebhaftigkeit, »daß es der beste Weg wäre, wenn [50] man aufs baldigste an meinen Onkel schriebe und ihm den Aufenthalt seiner Tochter bekannt machte?«
Die Hofdame erwog dies ein wenig und antwortete alsbald: »Nun, sehn Sie, Madame, ich glaube, nein! Die alte Western hat mir ihren Bruder als einen solchen Brummbär beschrieben, daß ich nicht drein willigen kann, irgendein Frauenzimmer wieder in seine Gewalt zu bringen, das einmal draus entwischt ist. Ich habe gehört, er soll sich wie ein Ungeheuer gegen seine eigene Frau betragen haben; denn er ist einer von den Tölpeln, welche meinen, sie haben ein Recht uns zu tyrannisiren, und halt' ich's beständig für eine gemeinschaftliche Pflicht unsers ganzen Geschlechts, von solch einem Menschen ein jedes Frauenzimmer zu erlösen, das einmal so unglücklich gewesen ist, in seine Gewalt zu geraten. Hauptsächlich, liebe Kousine, wird es nur darauf ankommen, die kleine Western abzuhalten, daß sie den jungen Burschen nicht eher zu sehen und zu sprechen bekomme, bis die gute Gesellschaft, die sie hier in London Gelegenheit haben wird zu sehen, ihr eine bessere Art zu denken beigebracht haben wird.«
»Aber, gnädige Kousine,« antwortete die andre, »sollte er ihren Aufenthalt ausfindig machen, so wird er, verlassen Sie sich darauf, nichts in der Welt unversucht lassen, um zu ihr zu gelangen.«
»Aber, Madame,« antwortete die gnädige Frau, »es ist unmöglich, daß er hierher kommen kann, ob es gleich freilich wohl möglich ist, daß er erfahre, wo sie sich aufhält, und dann kann er um das Haus herum auflauern. Ich möchte deshalb fast wünschen, daß ich ihn von Person kennte.«
»Gibt es keinen Weg, Madame, daß ich ihn einmal zu Gesicht bekommen könnte? Denn sonst, sehn Sie wohl, Kousine, könnte sie es leicht so karten, daß sie ihn hier ins Haus kommen ließe, ohne daß ich's wüßte.« Madame Fitz Patrick antwortete: »Er habe sie auf diesen Nachmittag mit einem zweiten Besuch bedroht, und wenn die gnädige Frau ihr alsdann die Ehre geben wollte, bei ihr vorzufahren, so würde es ihr schwerlich fehlen können, ihn zwischen sechs und sieben Uhr zu sehen, und wenn er auch früher kommen sollte, so wollte sie schon auf eine oder die andre Art Mittel finden, ihn so lange aufzuhalten, bis die gnädige Kousine ankämen.« – Frau von Bellaston antwortete: Sie wolle den Augenblick kommen, da sie sich von der Mittagsmahlzeit losmachen könnte, welches nach ihrer Meinung spätestens um sieben Uhr sein würde. Denn es wäre platterdings notwendig, daß sie ihn von Person kennen lernte. »Auf mein Wort, Madame,« sagte sie, »es war sehr gut, diese Sorge für Fräulein Western zu tragen; die bloße Menschenliebe sowohl, [51] als die Achtung für unsre Familie macht es uns beiden zur Pflicht, denn es wäre in der That eine fürchterliche Heirat.« Madame
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