Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
hab'n. Und da laßt jemand auftret'n im ganzen Hause und sag'n, ob ich jemals so 'n Wort gesagt habe. Gewiß Herr, 's ist eine ganz wunderliche Sache und ich habe seitdem beständig drüber nachgeson'n, wie's zugegangen sein kann, daß sie's erfahren hat, wenn's nicht 'n alt Weib gewesen ist, das ich hier vor ein'gen Tagen vor der Thür betteln sah, und die ebenso aussah, wie jene, welche wir in Warwickshire sahen, die uns all' dies Unglück gebracht hat. In Wahrheit, 's ist niemals gut, wenn man vor ein'm alt'n Weibe vorbeigeht und ihr nicht was gibt, hauptsächlich wenn sie ein'n ansieht; und das soll m'r die ganze Welt nicht ausreden, daß sie eine große Macht hab'n, Unheil anzurichten, und so viel weiß 'ch, ich werde in meinem Leben kein alt Weib wieder ansehn, daß ich nicht bei mir selbst denke:
Infandum regina iubes renovare dolorem.
«
Jones mußte über die Einfalt Rebhuhns lachen, und damit war es vorbei mit seinem Zorn, der im Grunde niemals lange in seinem Gemüt anhielt, und anstatt ihm Anmerkungen über seine Verteidigung zu machen, sagte er ihm, er sei entschlossen, dies Quartier aufs baldigste zu verlassen, und befahl ihm, hinzugehn und sich nach einem andern zu erkundigen.
Viertes Kapitel.
Welches, wie wir hoffen, von jungen Leuten beiderlei Geschlechts mit großer Aufmerksamkeit gelesen werden soll.
Rebhuhn hatte Herrn Jones nicht so bald verlassen, als Herr Nachtigall, mit welchem er einen vertrauten Umgang angefangen hatte, zu ihm kam und nach einer kurzen Begrüßung sagte: »So, Jones, ich höre, Sie haben vorige Nacht sehr spät noch Gesellschaft [103] gehabt? Bei meiner Seele! Sie sind ein rechtes Glückskind! Kaum sind Sie erst vierzehn Tage in der Stadt und lassen schon die Sänften des Morgens bis zwei Uhr vor der Thüre halten!« Hierauf brachte er noch viele Alltagsscherze von eben der Art zu Markte, bis ihn endlich Jones unterbrach und sagte: »Wie ich vermute, haben Sie alle diese Nachrichten von Madame Miller gehört, welche vor einer Weile heraufgekommen ist, mir die Zimmer aufzukündigen. Die gute Frau ist, wie es scheint, ängstlich, daß ihr Haus in üblen Ruf kommen möchte.« – »O,« sagte Nachtigall, »in diesem Punkt nimmt sie's entsetzlich genau. Sie erinnern sich ja noch wohl, daß sie die Nette nicht einmal mit uns nach der Maskerade gehn lassen wollte.« – »Nun, auf meine Ehre,« sagte Jones, »ich denke, darin hatte sie recht. Unterdessen habe ich ihre Aufkündigung angenommen und habe Rebhuhn hingeschickt, ein ander Quartier zu suchen.« – »Wenn Sie wollen,« sagte Nachtigall, »so glaube ich, können wir wieder zusammenziehn, denn ich will Ihnen ein Geheimnis sagen, – aber ich bitte, daß Sie sich ja im Hause gegen niemand etwas davon merken lassen, – ich bin willens, das Haus noch heute zu verlassen.« – »Wie, Freund, hat Ihnen Madame Miller ebenfalls aufgekündigt?« rief Jones. – »Nein!« antwortete der andere, »aber die Zimmer sind mir nicht bequem genug. Ueberdem bin ich dieser Gegend in der Stadt müde geworden. Ich will näher nach der Gegend ziehn, wo häufiger Zeitvertreib ist, deswegen zieh' ich nach Pallmall.« – »Sind Sie denn gesonnen, heute noch auszuziehn?« sagte Jones. – »Verlassen Sie sich drauf,« antwortete Nachtigall, »daß ich nicht willens bin, die Wirtin um die Miete zu prellen; aber ich habe meine geheimen Ursachen, warum ich nicht förmlich Abschied nehmen mag.« – »Nun, nicht gar zu geheime!« versetzte Jones. »Ich versichre Sie, ich habe sie gesehn gleich des andern Tags, da ich ins Haus gekommen war. Es wird hier nasse Augen geben, wenn Sie weg sind! – Die arme Nette! ich bedaure sie, wahrhaftig. Wirklich, Jakob, Sie haben das Mädchen zum Narren gehabt! Sie haben ihr ein Fieber beigebracht, wovon sie, wie ich fürchte, kein Arzt wird heilen können.« – Nachtigall antwortete: »Was zum Henker wollen Sie, das ich thun soll? Wollten Sie wohl, daß ich sie heiratete, um sie zu kurieren?« – »Nein,« antwortete Jones; »aber ich wollte, Sie hätten ihr nichts von Liebe vorgesagt, wie Sie oft in meiner Gegenwart gethan haben. Ich habe mich höchlich gewundert über die Blindheit der Mutter, daß die es niemals gesehn hat.« – »Pah, sehn!« rief Nachtigall. »Was Henker sollte sie sehn?« – »Nun sehn,« sagte Jones, »daß Sie ihre Tochter bis zum Rasen in Sie verliebt gemacht haben. Das arme Mädchen kann es keinen Augenblick verbergen: sie kann kein Auge von Ihnen wenden und verändert
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