Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Raserei von dir gewesen, nur jemals daran zu denken, sie in deine Familie zu bringen.
Bei alledem gestehe ich, daß mein Neffe gefehlt hat. Aber ein unverzeihlicher Fehler ist es gewiß auch nicht. Er hat in einer Angelegenheit ohne deine Einwilligung gehandelt, wobei er solche hätte begehren sollen. Es ist aber auch eine Angelegenheit, die hauptsächlich ihn selbst und sein eignes Wohlsein betrifft. Du mußt und wirst zugeben, daß du bloß auf sein Wohl sahst, und wenn er nun unglücklicherweise von dir verschieden denkt und in seinen Begriffen von Glückseligkeit geirrt hat, willst du deswegen, Bruder, wenn du deinen Sohn liebst, ihn immer weiter ins Unglück bringen? Willst du die übeln Folgen seiner einfältigen Wahl noch vermehren? Willst du mit allem Fleiße eine Heirat gewiß unglücklich machen, die es zufälligerweise werden könnte? Mit einem Worte, Bruder, willst du seine Umstände deswegen so kümmerlich machen als du kannst, weil er nicht in deiner Gewalt gelassen hat, sie so wohlhabend zu machen, als du wolltest?«
Durch die Kraft des wahren katholischen Glaubens wirkte der heilige Antonius mit seiner Predigt auf die Fische; Orpheus und Amphion triebens ein wenig weiter und setzten durch die Zaubergewalt der Musik unbeseelte Dinge in Bewegung. Wunderwerke beides! Aber weder Geschichte noch Fabel haben von jemanden ein Beispiel aufbewahrt, der durch Gründe über eingewurzelten Geiz zu siegen vermocht hätte.
Herr Nachtigall, der Vater, anstatt es nur zu versuchen, seinem Bruder zu antworten, begnügte sich bloß damit, daß er sagte, sie wären über ihre Kinderzucht niemals einerlei Meinung gewesen. »Ich wünschte, Bruder,« sagte er, »du hättest es damit gut sein lassen, daß du dich um deine eigne Tochter bekümmertest und hättest dir niemals mit meinem Sohne die geringste Mühe gegeben, der, wie ich glaube, ebensowenig durch deine Lehren, als durch deine Beispiele viel gewonnen hat.« Denn der junge Nachtigall war von [125] seinem Oheim aus der Taufe gehoben und hatte sich mehr bei diesem, als bei seinem Vater aufgehalten, daß sonach der Onkel oft erklärt hatte, er habe seinen Neffen fast ebenso lieb, als seine eigne Tochter.
Jones war ganz entzückt über diesen herrlichen Mann, und als sie fanden, daß der Vater, anstatt sich besänftigen zu lassen, nur immer noch mehr aufgebracht wurde, so führte Jones den Oheim zu seinem Neffen nach Madame Millers Hause.
Neuntes Kapitel.
Enthält wunderliche Dinge.
Bei der Ankunft in seinen Zimmern fand Jones die Lage der Sachen ganz verschieden von der, in welcher sie bei seinem Weggehen gewesen war. Die Mutter, die beiden Töchter und der junge Nachtigall hatten sich miteinander zum Abendessen niedergesetzt, als der Oheim auf sein eignes Begehren ohne alle Umstände zur Gesellschaft geführt wurde, die er alle persönlich kannte, weil er seinen Neffen, während er hier im Hause wohnte, verschiedene Male besucht hatte.
Der alte Herr ging gerade auf Mademoiselle Nette zu, küßte sie, und wünschte ihr Glück; ebenso machte er's hernach mit der Mutter und mit der jüngsten Schwester, und zuletzt stattete er auch bei seinem Neffen die gewöhnlichen Komplimente ab, und war dabei ebenso munter und höflich, als ob sein Neffe eine Person geheiratet hätte, die ebenso reich wie er selbst, oder noch reicher gewesen, und als ob alles in der gewöhnlichen und hergebrachten Ordnung geschehen wäre.
Mamsell Nette und ihr vorgegebener Ehemann wurden blaß und sahen bei dieser Gelegenheit fast ein wenig einfältig aus, allein Madame Miller nahm den ersten besten Anlaß wahr, hinauszugehen, und nach dem sie Herrn Jones hatte zu sich in den Saal bitten lassen, warf sie sich ihm zu Füßen und nannte ihn, unter einer heißen Flut von Thränen, ihren Engel, den Retter ihrer kleinen Familie, nebst noch vielen andern Ehre und Liebe ausdrückenden Benennungen und bezeigte ihm jede Erkenntlichkeit, welche die höchste Wohlthat aus dem dankbarsten Herzen erpressen kann.
Nachdem sich die heftigste Wallung ihrer Dankbarkeit ein wenig gelegt hatte, die ihr, wie sie sagte, das Herz zersprengt haben würde, wenn sie solcher nicht ein wenig Luft geschafft hätte, fing sie an, Herrn Jones zu benachrichtigen, daß zwischen Herrn Nachtigall und ihrer Tochter alles gehörig verabredet worden, und daß sie des nächsten Morgens würden getraut werden. Als hierüber Jones seine große Freude bezeigt hatte, geriet die arme Frau abermals in eine Anwandlung von Freude und
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