Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
ein jeder zu spielen hat, um einem andern eine Nase zu drehen, und keiner die List, die wider ihn angewendet wird, weder sieht noch argwöhnt und sonach denn (um bei dieser Gelegenheit von der Fechtkunst eine nicht unschickliche Metapher zu entlehnen) der Stoß von beiden Seiten trifft.
Aus eben der Ursache ist es nicht ungewöhnlich, daß beide [129] Parteien bei einem Tauschhandel überlistet werden, obgleich immer der eine mehr verlieren muß als der andre; sowie jener, der ein blindes Pferd verkauft und dafür in falscher Münze die Bezahlung erhielt.
Unsre Gesellschaft brach nach einer halben Stunde auf, und der Onkel nahm seinen Neffen mit sich hinweg. Vorher aber hatte der letztre noch Gelegenheit gefunden, seiner Nanette die Versicherung zuzuflüstern, daß er sich des nächsten Morgens früh bei ihr einstellen und alle seine Versprechungen erfüllen würde.
Jones, der bei diesem Auftritte das wenigste zu thun hatte, sah am meisten. Ihm ahnte wirklich die Sache wie sie war, denn außerdem, daß er die große Veränderung in dem Betragen des Onkels bemerkte, die vornehme Miene, die er annahm, und seine übertriebene Höflichkeit gegen Mademoiselle Nanette, so war auch bei dem Verfahren, einen Bräutigam gleichsam in der Hochzeitsnacht von seiner Braut wegzuführen, etwas so außerordentliches, daß es nur dadurch einen Aufschluß erhalten konnte, wenn man annahm, daß der junge Nachtigall das ganze Geheimnis enthüllt hätte, was seine offenherzige Gemütsart und seine jetzige Weinseligkeit nur zu wahrscheinlich machten.
Als er noch bei sich selbst ratschlagte, ob er den armen Leuten seine Vermutung sagen sollte oder nicht, benachrichtigte ihn die Magd vom Hause, daß ihn eine Dame zu sprechen wünschte. Er ging ungesäumt hinaus, nahm der Magd den Leuchter aus der Hand und führte seinen Besuch die Treppe hinauf, welcher ihm in der Person der Jungfer Honoria solche fürchterliche Nachrichten, seine Sophie betreffend, hinterbrachte, daß er augenblicks alle Gedanken an die ganze übrige Welt verlor, und sein ganzer Vorrat von Mitleiden in Betrachtungen über sein eignes Elend und das Elend seiner unglücklichen Geliebten völlig darauf ging.
Was dies für fürchterliche Sachen waren, wird der Leser vernehmen, wenn wir erst die verschiedenen Schritte erzählt haben, welche solche hervorbrachten, und das wird der Gegenstand des folgenden Buches sein.
Fünfzehntes Buch.
In welchem die Geschichte um zwei Tage weiter rückt.
Erstes Kapitel.
Zu kurz um einer Anzeige zu bedürfen.
Es gibt eine Klasse von theologischen, oder vielmehr moralischen Schriftstellern, welche lehren, die Tugend sei der sichre Weg zur Glückseligkeit in dieser Welt, sowie das Laster der sichre Weg zum Verderben. Eine sehr heilsame und trostvolle Lehre, gegen die wir nur die einzige Einwendung haben, daß sie nicht wahr ist.
Ja, wenn diese Schriftsteller unter Tugend die Ausübung jener [130] Kardinaltugenden meinen, welche, gleich den guten Hausmüttern, fein zu Hause bleiben und sich um weiter nichts als um ihr eignes Hauswesen bekümmern, so will ich ihnen den Punkt ganz gerne zugeben, denn diese tragen alle so gewiß und sicher zur Glückseligkeit bei, daß ich beinahe wünschen möchte, was auch dadurch den alten und neuen Weisen für Gewalt geschähe, man legte ihnen anstatt des Namens Tugend den Namen Weisheit bei. Denn in Rücksicht auf dieses Leben war, nach meinen Begriffen, kein System weiser, als das System der alten Epikuräer, welche das höchste Gut in die Weisheit setzten; keins aber närrischer, als das System ihrer Gegenfüßler, der neuen Epikuräer, welche das höchste Glück in reichlicher Befriedigung jeder sinnlichen Begierde suchen.
Meint man aber unter Tugend (wie ich fast glauben muß) eine gewisse relative Eigenschaft, welche beständig außer dem Hause wirksam ist und ebenso innig bedacht zu sein scheint, das Glück andrer zu befördern, als andre ihr eignes, so kann ich nicht so leicht zustimmen, daß das der sicherste Weg zur Glückseligkeit eines Menschen sei; weil ich besorge, wir müßten alsdann Armut und Verachtung, nebst allem Unheile, was hämische Nachreden, Neid und Undankbarkeit den Menschen zuziehen, mit in unsern Begriff von Glückseligkeit einschließen, ja zuweilen genötigt sein, besagte Glückseligkeit nach einem Kerker zu begleiten, weil manche sich durch die vorgenannten Tugenden bis soweit gebracht haben.
Ich habe jetzt eben nicht Zeit, mich in ein so geräumiges Feld von
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