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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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von Dankbarkeit gegen ihn und alle ihre Blicke, Worte und Handlungen waren so beschäftigt, diese Dankbarkeit an den Tag zu legen, daß sie sich mit ihrer Tochter, ja selbst mit ihrem neuen Schwiegersohne nur sehr wenig abgab.
    Die Mahlzeit war eben geendigt, als Madame Miller einen Brief empfing. Da wir aber in diesem Kapitel der Briefe schon sattsam gehabt haben, so wollen wir seinen Inhalt im folgenden anzeigen.

Zehntes Kapital.
    Enthält teils Thatsachen und teils Bemerkungen darüber.
     
    Der Brief sonach, welcher am Ende des vorhergehenden Kapitels anlangte, war vom Herrn Alwerth, und der Inhalt desselben war, daß er unmittelbar mit seinem Neffen Blifil zur Stadt kommen [165] wolle, nebst dem Ersuchen, man möchte ihm seine gewöhnlichen Zimmer in Bereitschaft halten, und zwar den untersten Stock für ihn selbst und den zweiten für seinen Neffen.
    Die frohe Munterkeit, die sich vorher über das ganze Sein und Wesen der armen Frau verbreitet hatte, ward bei dieser Gelegenheit ein wenig mit Wolken überzogen. Diese Nachricht setzte sie wirklich um ein großes aus ihrer Fassung. Eine so uneigennützige Verbindung mit ihrer Tochter gleich damit zu vergelten, daß sie ihrem neuen Schwiegersohn die Thüre wiese, dünkte sie auf der einen Seite unverantwortlich, auf der andern hingegen konnte sie kaum den Gedanken ausstehen, sich gegen Herrn Alwerth nach alle den Wohlthaten, die sie von ihm empfangen hatte, darüber zu entschuldigen, wenn sie ihm die Zimmer versagte, die im strengsten Verstande ihm zugehörten. Denn dieser rechtschaffne Herr hatte bei allen seinen zahllosen Wohlthaten, die er andern er wies, die Gewohnheit, nach einer Regel zu verfahren, die demjenigen, wie es andre großmütige Leute zu machen pflegen, schnurgrade entgegenlief. Er sann bei allen Gelegenheiten darauf, seine Wohlthätigkeit nicht nur vor der Welt, sondern selbst vor denen, an welchen er sie übte, zu verbergen. Er bediente sich beständig der Worte leihen und bezahlen, statt des Wortes geben, und durch jede Methode, die er zu erfinden vermochte, verringerte er beständig die Gefälligkeiten, welche er bezeigte, mit seiner Zunge, indessen er solche mit seinen beiden Händen häufte. Dieser Gewohnheit zufolge hatte er zu Madame Miller, als er ihr die fünfzig Pfund zum Jahrgehalt aussetzte, gesagt: »Es geschähe deswegen, damit er immer den ersten Stock in ihrem Hause haben könnte, wenn er in der Stadt wäre, welches er kaum jemals willens war; sie könne solchen aber zu allen übrigen Zeiten vermieten, denn er wolle es ihr allemal einen Monat vorher anzeigen.« Er ward aber jetzt in so unvermuteter Eile zur Stadt getrieben, daß er keine Zeit hatte, diese Ankündigung zu thun. Und diese treibende Eile hatte ihn wahrscheinlicherweise verhindert, als er um seine Zimmer schrieb, hinzuzusetzen: wenn sie eben leer stünden; denn ganz gewiß hätte er sie sehr gerne gegen eine weit unzulänglichere Entschuldigung fahren lassen, als Madame Miller jetzt hätte anführen können.
    Aber es gibt eine Art Menschen, welche, wie Prior gar vortrefflich sagt, ihr Betragen nach etwas richten:
     
    Beyond the fix'd and settled Rules
    Of Vice and Virtue in the Schools,
    Beyond the Letter of the Law.
     
    Was jenseits aller Regeln über Laster
    Und Tugend, die die Schulen geben, was
    Jenseits dem Buchstaben des Gesetzes liegt.
     
    Diesen ist es so wenig genügend, wenn sie ein Gerichtshof auf ihre Rechtfertigung freisprechen würde, daß sie noch kaum einmal damit zufrieden sind, wenn das Gewissen, der strengste von allen Richtern, sie klaglos stellt. Nichts als die reinste Redlichkeit und Billigkeit kann dem zarten Gefühle ihres Gemüts ein Genügen [166] thun, und wenn irgend eine von ihren Handlungen nicht bis zu diesem Ziele reicht, so sind sie mißmutig und niedergeschlagen und ebenso unruhig und ängstlich als ein Mörder, der sich unaufhörlich vor Gespenstern oder Scharfrichtern fürchtet.
    Zu diesen gehörte Madame Miller. Sie konnte ihre Unruhe über diesen Brief nicht verbergen. Sie hatte den Inhalt nicht so bald der Gesellschaft mitgeteilt und sich einige Worte über ihre Verlegenheit entfallen lassen, als Jones, ihr Schutzgeist, sie alsobald von ihren Sorgen befreite. »Was mich selbst betrifft, Madame,« sagte er, »so sind meine Zimmer zu Ihrem Dienste, wenn Sie es nur einen Augenblick vorher sagen, und Herr Nachtigall, da er nicht sogleich ein Haus einrichten kann, um seine Gattin zu empfangen, wird sich's, wie ich überzeugt bin,

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